„Fantasie ist wichtiger als Wissen“
Ende Juli hat Prof. Paolo Burlando seine dreijährige Amtszeit als Vorsteher des Departements Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich beendet. Im Abschiedsinterview spricht er über Highlights und Herausforderungen seiner Amtszeit und über seine Leidenschaft für die Dokumentarfotografie.
Prof. Burlando, Sie sind seit bald 30 Jahren an der ETH Zürich tätig. Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie an das D-BAUG denken?
Das D-BAUG ist seit 1997 meine akademische Heimat. Heimat ist dort, wo man sich in positiver, herzlicher Atmosphäre wohl, unterstützt und willkommen fühlt. Genauso geht es mir am D-BAUG und generell an der ETH. Das D-BAUG zeichnet sich darüber hinaus durch eine sehr vielfältige Gemeinschaft aus, in der leidenschaftlich geforscht und die Ausbildung künftiger Ingenieurinnen und Ingenieure grossgeschrieben wird, die die Gesellschaft mit beeindruckenden Infrastrukturen prägen sowie die Natur schätzen und respektieren lernen. Wäre ich Student, würde mich die Vielfalt an wissenschaftlichen und technischen Themen am D-BAUG besonders faszinieren und fordern. Man kann hier gar nicht anders, als sich für die Zukunft der Menschheit engagieren zu wollen.
Ihre Amtszeit war besonders ereignisreich: Sie haben das Departement durch eine globale Pandemie, die periodisch vorgenommene wissenschaftliche Evaluation, strategische Umstrukturierungen und einige umfangreiche Gebäuderenovierungen gesteuert, um nur einige der Herausforderungen zu nennen. Was machte Ihnen am meisten zu schaffen?
Die letzten drei Jahre waren in der Tat voller Ereignisse und Herausforderungen. Am schwierigsten gestalteten sich Betrieb und Planung im Alltag, da sich die immense pandemiebedingte Ungewissheit unmittelbar und langfristig auf unsere Abläufe und Ressourcen auswirkte. Aber wie sagt man in der Kunstszene? „The show must go on.“ Wie auf der Bühne mussten wir trotz der schwierigen Umstände weiter lehren und forschen und gleichzeitig die strategische Entwicklung der letzten Jahre in unserem Departement aufrechterhalten und mit konkreten Massnahmen weiter vorantreiben. Aufgrund der pandemiebedingten Auflagen erfolgte die wissenschaftliche Evaluation online, was durchaus eine Herausforderung war. Aber letztlich überzeugten wir das Evaluationskomitee von der hochwertigen Lehre und Forschung sowie der Strategie des D-BAUG, die gemeinsam die Grundlage für den künftigen Erfolg und Führungsanspruch des Departements bilden. Die umfangreichen Renovierungsarbeiten am Laborgebäude strapazierten uns in der ohnehin anstrengenden Zeit zwar noch etwas mehr, aber das Departement und seine Mitarbeitenden haben hier viel Besonnenheit, Pragmatismus und Zähigkeit bewiesen.
Was würden Sie sagen, war Ihr grösster Erfolg als Departementsvorsteher (DV)?
Mir wäre lieber, wenn die Antwort auf diese Frage von den Kolleginnen und Kollegen und Mitarbeitenden des Departements käme. Aus meiner Sicht hat das Departement in den letzten Jahren seine Persönlichkeit gefestigt und ist sich seiner Stärken viel bewusster als noch vor einigen Jahren. Ich würde mich freuen, objektiv belegen zu können, dass ich dem D-BAUG zu mehr Anerkennung und Respekt verhelfen und seine strategische Entwicklung vorantreiben konnte. Das wäre in meinen Augen ein wichtiger Erfolg. Wenn überdies die dazu nötigen Veränderungen das Zusammenspiel innerhalb des Departements noch stärken würden, ohne es zu stören, wäre ich mit meiner Arbeit als DV zufrieden.
«Die Vision des D-BAUG ist es, führend an der Gestaltung einer nachhaltigen Welt mitzuwirken. Das ist kein Wunschdenken, sondern ein Ziel, über dessen Erreichung ich mich sehr freuen würde.»Paolo Burlando
Was hat Ihnen am meisten Freude bereitet?
Es ist natürlich ein schönes Gefühl, wenn man sich für das Departement einsetzt, Gutes bewirkt und dafür Anerkennung und Unterstützung erhält. In meiner Führungsposition war ich frei Verbesserungen und nützliche Initiativen vorzuschlagen – wenngleich auch etwas eingeschränkt durch die Governance-Struktur. Das war Privileg, Auftrag und Motivation zugleich. Darüber hinaus bietet die Tätigkeit als DV die Gelegenheit, sich mit Dozierenden und Mitarbeitenden auszutauschen, zusätzlich zur wertvollen Zusammenarbeit innerhalb der Departementsleitung. Solche menschlichen und beruflichen Verbindungen sind in dieser Position zur Erfüllung aller Pflichten von unschätzbarem Wert. Sich eng mit der ETH-Schulleitung auszutauschen und sie bei ihren Tätigkeiten unterstützen zu können, empfand ich in der sonst sehr fordernden Rolle als sehr befriedigend. Die intensive Zusammenarbeit erwies sich vor allem in den letzten drei sehr herausfordernden Jahren als unerlässlich und wird es auch für die Zukunft der ETH bleiben, da die schwierige Zeit noch nicht vorbei ist.
Worauf hätten Sie verzichten können?
Da fällt die Antwort leicht: auf die Bürokratie. Das ist zweifelsohne eine der am wenigsten interessanten Pflichten eines DV. Ich wünschte, die Verwaltungsaufgaben liessen sich besser bündeln, doch dem stehen einige sehr starre Vorschriften im Weg. Ich habe als eine meiner letzten Handlungen als DV einige Vorschläge unterbreitet, wie sich die Governance-Struktur des D-BAUG verbessern liesse. Ich hoffe, sie werden von den anderen Mitgliedern der Departementsleitung unterstützt, sodass sich mein Nachfolger stärker auf strategische Anliegen konzentrieren kann.
Welche Ziele geben Sie dem D-BAUG mit auf den Weg?
Ich denke, das D-BAUG ist gut aufgestellt, um es mit den Herausforderungen aufzunehmen, die der Wandel des akademischen Systems mit sich bringt, und um bei aktuellen, wichtigen Forschungsprojekten eine tragende Rolle zu spielen. Gleichzeitig müssen wir auch die strategische Entwicklung weiter vorantreiben, um unseren Ruf inner- und ausserhalb der ETH auszubauen. So können wir die nötigen Ressourcen zu uns holen, um die Vision des D-BAUG mit Leben zu füllen. Sie besteht darin, federführend an der Gestaltung einer nachhaltigen Welt mitzuwirken. Das ist kein Wunschdenken, sondern ein Ziel, über dessen Erreichung ich mich sehr freuen würde.
Haben Sie eine Lebensphilosophie oder ein Lebensmotto?
Nicht wirklich. Allerdings gibt es einige wichtige Werte, die mich privat wie beruflich stark geprägt haben. Dazu gehören insbesondere intellektuelle Ehrlichkeit, Durchhaltevermögen und Kontinuität. Zudem hat mich ein Zitat besonders beeindruckt, das Albert Einstein zugeschrieben wird: „Fantasie ist wichtiger als Wissen.“ Dieser Satz hat mich oft bei meiner Forschung angetrieben. Für mich besagt er, dass der Wissensdurst, das Unbekannte verstehen zu wollen, Grundvoraussetzung und Treibstoff für wirkungsvolle Forschung und Lehre ist.
Sie sind auch Fotograf und hatten kürzlich Ihre zweite grosse Ausstellung in einer Galerie. Wie hat Ihre Leidenschaft für die Dokumentarfotografie Ihre wissenschaftliche Arbeit beeinflusst und umgekehrt?
Sowohl die Forschung als auch die Fotografie haben einen Zen-ähnlichen Ansatz, bei dem Meditation und Intuition eine Rolle spielen. Das Leben so zu dokumentieren, wie es sich vor meiner Kamera entfaltet, erfordert scharfe Beobachtung, die Fähigkeit, zum Beispiel die Essenz einer Strassenszene, in der Mensch und Umwelt interagieren, zu erfassen und schliesslich in eine Komposition zu übersetzen, die das Verständnis dieses flüchtigen Moments vermittelt. Die Wasserforschung ist in gewisser Weise ähnlich: Man muss natürliche Prozesse und ihre Wechselwirkung mit menschlichen Aktivitäten beobachten und verstehen und die Komplexität der Prozesse und physikalischen Gesetze in ein mathematisches Modell abstrahieren, das die tatsächlichen Prozesse interpretiert und gleichzeitig die Realität und die Interpretation des Wissenschaftlers so genau wie möglich wiedergibt.
Bevor Sie DV wurden, waren Sie als Stellvertreter und Delegierter in der Departementsleitung tätig, insgesamt knapp zehn Jahre. Ist jetzt Zeit für eine Pause? Wie geht es bei Ihnen weiter?
Ja, als nächstes lege ich ein Sabbatical ein, um mich von den letzten drei sehr intensiven und herausfordernden Jahren zu erholen. Ich möchte mich in der verbleibenden Zeit bis zu meiner Pensionierung wieder mehr den laufenden Forschungsprojekten widmen, die noch abgeschlossen werden müssen, und zudem noch einigen offenen Forschungsideen nachgehen.
Ihr Schlusswort?
Die letzten drei Jahre waren so intensiv, dass sie wie im Flug vergangen sind. Rückblickend fühlte es sich oft so an, als würde ich ein Schiff durch einen Sturm steuern und versuchen, den Kurs so gut wie möglich zu halten. Manchmal musste ich improvisieren. Ich hoffe, ich konnte das Departement gut durch diese schwierigen Zeiten begleiten, und wünsche meinem Nachfolger und dem D-BAUG eine erfolgreiche Zukunft, in der es sein Ansehen und seinen Einfluss weiter ausbauen kann.
Vielen Dank für das Interview, Prof. Burlando.
Paolo Burlando wurde im Oktober 2013 erstmalig in die Departementsleitung gewählt. Vom 1. August 2021 bis zum 31. Juli 2023 war er als DV tätig. Er ist Professor für Hydrologie und Wasserressourcenmanagement am Institut für Umweltingenieurwissenschaften am D-BAUG der ETH Zürich.
Burlando began im Alter von 17 Jahren mit dem Fotografieren. Mehr über seine fotografische Praxis erfahren Sie externe Seite hier.