Eine Umdrehung weitergedacht
Angetreten, um die Lebensdauer und Zuverlässigkeit von Windkraftanlagen zu steigern, verbessert das ETH-Spin-off RTDT mittlerweile deren Stromproduktion und ihre Leistungsfähigkeit. Und dies alles mit einem intelligenten Pflaster für Rotorblätter.
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Windturbinen haben viel Potenzial. Sowohl die Menge an produziertem Strom als auch ihre Zuverlässigkeit lassen sich noch wesentlich steigern. Das ETH-Spin-off RTDT hat sich vorgenommen, sich dieser Herausforderung zu stellen und entwickelten mit Aerosense, eine Hardware-Software-Lösung. Ihr Büro im Technopark Zürich ist ausgestattet mit allerlei Elektronik. Auch Lötkolben liegen herum, Klebstreifen warten auf ihren Einsatz und PV-Folien wollen bezogen werden. Hier werden Prototypen gebaut, die später auf Rotorblättern von Windturbinen befestigt werden.
Von Monitoring zu Design und Steuerung
Das insgesamt achtköpfige Team hat eine Hardware-Software-Lösung entwickelt, die aerodynamische, akustische und strukturelle Daten von Rotorblättern sammelt. Ursprünglich haben sie ihr Produkt, Aerosense, zur vorausschauenden Instandhaltung, entworfen. Allerdings hat sich herausgestellt, dass es für das Design der Windturbinen einen viel grösseren Mehrwert besitzt. Deswegen hat RTDT Laboratories kurzerhand sein Geschäftsmodell geändert. «Zwar haben wir mit einer Software zur Strukturüberwachung begonnen», sagt CEO Imad Abdallah, «als die Hersteller allerdings festgestellt haben, dass wir auch die Aerodynamik messen können, hat sich unser Fokus entscheidend verändert.»
Auf einmal ging es nicht mehr darum, die Struktur zu überwachen, sondern mit den gewonnenen Daten dazu beizutragen, die Konstruktion der Rotorblätter zu verbessern und mehr Strom zu generieren. «Jetzt können wir in enger Zusammenarbeit mit den Herstellern etwas entwickeln, das Windturbinen revolutionieren wird», ist Abdallah überzeugt. Er selbst hat acht Jahre lang bei Vestas, einem der grössten Windturbinenhersteller, als leitender Ingenieur gearbeitet und sich seine gesamte bisherige Karriere mit Windenergie beschäftigt, bevor er als Visiting Researcher an die ETH Zürich kam und später als Senior Scientist am Departement Bau, Umwelt und Geomatik arbeitete.
Windturbinen neu denken
Tatsächlich sind die meisten Windturbinen in Sachen Materialeinsatz überdimensioniert, damit sie den widrigen Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind, standhalten. Wenn die Hersteller Einblicke bekommen, wie sie ihre Rotorblätter in Sachen Design, Steuerung, Struktur und Aerodynamik optimieren können, kann die Materialmenge um fünf bis zehn Prozent verringert werden, was wiederum die Produktionskosten senkt. «Dass wir unseren Fokus geändert haben, heisst nicht, dass wir die Instandhaltung aufgegeben haben. Unsere Technik kann das nach wie vor. Für unsere potenziellen Kunden ist allerdings ein anderer Einsatzbereich profitabler», sagt Abdallah.
Ein Pflaster für Rotorblätter
Aerosense muss man sich vorstellen wie ein intelligentes Pflaster, das auf Rotorblätter geklebt wird. Es misst aerodynamische und strukturelle Aspekte, also Schwingungseigenschaften, akustischen Emissionen, Dehnungen und die Temperatur eines Rotorblattes. Das Modul ist in fünf Minuten installiert und sendet die Daten kabellos und in Echtzeit an eine Software. «Ähnlich wie eine Apple Watch oder ein Fitness-Tracker gibt es jederzeit Auskunft über den physischen Zustand des Rotorblattes», sagt Abdallah. Gerade ist das neueste System in Österreich im Einsatz. Bis Ende 2025 soll es in realer Umgebung beweisen, dass es eine Lebensdauer von einem Jahr übersteht. Bei Rotorgeschwindigkeiten von 80 bis 100 m/s, Temperaturen von -20 bis 60 Grad Celsius und einer hohen Umgebungsfeuchtigkeit führen schon die geringsten Fehler zu Schäden. Von daher sind solche Tests entscheidend, ob das Aerosense auch über einen längeren Zeitraum funktionsfähig bleibt.
Meilensteine auf dem Weg in die Zukunft
Ein weiterer Meilenstein für RTDT wird das Jahr 2026 sein. Bis dahin will Spin-off eine Soft-Integration mit einem namhaften Hersteller geschafft haben. «Das bedeutet, dass Aerosense bis dahin eine Lebensdauer von drei Jahren erreicht haben soll, ab Fabrik auf die Rotorblätter geklebt wird», sagt Abdallah. Ist dieser Schritt erst einmal getan, lässt sich die Hardware leicht skalieren und hundertfach einsetzen. Anfang 2027 will RTDT den entscheidenden Schritt machen und eine Voll-Integration schaffen. «Dann wäre unsere Hardware ein integrativer Bestandteil von Rotorblättern und nicht nur ein Add-on», erklärt Abdallah.
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Aerosense könnte zum Fliegen kommen
Das Feedback, das RTDT von Windturbinenherstellern bekommt, ist laut Abdallah überragend. Ein vergleichbares Produkt, das durch Sensorik sowohl die Stromproduktion steigert als auch die Herstellungskosten verringert, gibt es so nicht auf dem Markt. Dabei wären sie ohne die Unterstützung der ETH Zürich nie so weit gekommen. «Vor allem das Image war bei vielen Unternehmen ein Door-Opener», sagt Abdallah und setzt hinzu: «Was nach wie vor nicht genug gefördert werden kann, ist das richtige Mindset. Doktoranden müssen aus einer akademischen Denkweise eine praktische und kundenorientierte Einstellung entwickeln», sagt Abdallah, und hat schon weitere Projekte im Kopf.
Schliesslich könnte Aerosense genauso gut auf Tragflächen von Flugzeugen eingesetzt werden, um instabile Flugbedingungen zu erkennen. «Das ist keine grosse Abweichung von dem, was wir jetzt tun. Wir messen immer noch die Aerodynamik, lediglich das Einsatzgebiet würde sich ändern.» Auch wenn das noch nicht der Fall ist, zeigt es das Potenzial, das in Aerosense steckt.
ETH Spin-offs
Seit 1973 wurden an der ETH Zürich 615 Spin-offs lizensiert. Die Gruppe ETH Entrepreneurship unterstützt sie im Gründungsprozess und begleitet Start-ups auf ihrem Weg zum Erfolg.
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