Wenn tote Kleinstlebewesen langsamer zum Meeresgrund sinken, ist das fürs Klima nicht gut

Dank organischer Partikel, die zum Meeresgrund trudeln, bleibt CO2 dauerhaft gebunden. Natürliche gelartige Substanzen bremsen den Prozess aber. Für präzisere Klimavorhersagen sind solche Mechanismen auf Mikroskala auch wichtig.

Taucherinnen und Taucher kennen das Phänomen unter dem Namen Meeresschnee: Kleinste Partikel von toten Algen und anderen Minilebewesen, die unter Wasser langsam zu Boden sinken. Insgesamt landen durch den riesigen Fluss aus organischen Teilchen jährlich über fünfzig Gigatonnen Kohlenstoff auf dem Grund der Ozeane.

Dieser Prozess spielt für das Klima eine wichtige Rolle: Denn der in den Partikeln gebundene Kohlenstoff verbleibt Tausende von Jahren auf dem Meeresboden und kehrt erst dann wieder in Form von CO2 in die Atmosphäre zurück. Deshalb ist es auch wichtig zu verstehen, was mit den Teilchen auf dem Weg in die Tiefe geschieht.

Dies untersucht die vom SNF unterstützte Forschungsgruppe um Roman Stocker. Das ETH-Team bewegt sich damit im Grenzgebiet zwischen Disziplinen wie Mikrobiologie, Physik, Mathematik, Mikrofluidik und Ozeanographie. In einer kürzlich veröffentlichten Studie konnten die Forschenden nun erstmals nachweisen, dass natürliche Biogele die Sinkrate deutlich reduzieren.

Je schneller, desto weniger CO2-Emission

«Die Geschwindigkeit, mit der die Partikel sinken, bestimmt, wieviel Kohlenstoff im Meer gebunden wird», erklärt Stocker. Denn während des langsamen Fallens zum Boden dient der Meeresschnee als Nahrungsquelle für Bakterien. Aller Kohlenstoff, der dabei verstoffwechselt wird, landet rasch wieder als CO2 in der Atmosphäre. Nach jetzigen Berechnungen erreicht deswegen nur etwa ein Prozent der sinkenden Biomasse überhaupt den Meeresgrund.

Bisher ging die Forschung davon aus, dass der Meeresschnee mit einer Geschwindigkeit zwischen zehn und hundert Metern pro Tag absinkt. Das Team um Stocker hat nun festgestellt, dass die Partikel teilweise wohl noch langsamer unterwegs sind.

Verantwortlich dafür sind Biogele − von Bakterien, Algen und andere Lebenswesen ausgeschiedene transparente, gallertähnliche Substanzen. Sie dienen manchmal als Schutz vor Feinden oder zum Einfangen von Nahrung und treiben stellenweise in riesigen Mengen im Meer. So fand beispielsweise eine Studie im Atlantik um Bermuda zwei Milliarden Biogel-Stückchen pro Liter Meerwasser. Das Team um Stocker vermutete, dass Biogele aufgrund ihrer Beschaffenheit von organischen Partikeln eingefangen werden und dies die Fallgeschwindigkeit reduziert.

Ein Partikel tagelang verfolgen

Die Bewegung eines einzelnen Partikels lässt sich im offenen Meer nicht über mehrere Tage verfolgen. Deshalb hat Postdoktorand Uria Alcolombri, der inzwischen als Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem forscht, eine spezielle Laborapparatur entwickelt. Es handelt sich um eine zwanzig Zentimeter hohe, mit Meerwasser gefüllte Glassäule, in deren Mitte ein einzelnes Partikel schwebt.

Ein gegenläufiger Wasserstrom darin gleicht das Absinken des Partikels aus, so dass es immer an derselben Stelle bleibt. Die Geschwindigkeit des Gegenstroms entspricht somit der Sinkrate. Damit simulierten die Forschenden den Weg eines einzelnen Partikels mehrere Tage lang, einmal mit, einmal ohne Biogel. Als Partikel dienten aggregierte Bruchstücke der Schale von Kieselalgen. Das Biogel stellte das Team mit Hilfe eines Meeresbakteriums selber her.

Wie erwartet bremste die gelartige Substanz die Sinkgeschwindigkeit − und zwar viel stärker als vermutet. Unter Anwesenheit von Biogel fielen die Partikel fast fünfzig Prozent langsamer zu Boden. «Uns hat selbst erstaunt, wie gross der Effekt war», so Stocker. Dies bedeutet: Je mehr Biogel vorhanden ist, desto weniger Kohlenstoff gelangt zum Meeresgrund. Denn Bakterien haben dadurch länger Gelegenheit, den Kohlenstoff zu verstoffwechseln.

Der Bremseffekt beruht zum einen auf der geringen Dichte von Biogelen: Wenn sich Stückchen davon in den organischen Partikel verfangen, so bremsen sie das Absinken wie eine Boje ab. Zudem breitet sich Biogel wie ein Fallschirm aus und zieht Fäden, was den Reibungswiderstand im Wasser erhöht. Diese Zusammenhänge konnte das Team durch ein mathematisches Modell bestätigen.

Auch kleine Prozesse haben Impact

«Wir erwarten, dass sich diese Prozesse so ähnlich auch im Ozean abspielen», sagt Stocker. Allerdings gäbe es in der freien Natur eine grosse Variabilität. Verschiedenste Organismen produzieren in unterschiedlichen Meeresregionen mal mehr, mal weniger Biogel, das sich zudem in der Zusammensetzung unterscheidet. «Mit unseren mathematischen Modellen versuchen wir, das besser vorherzusagen.»

Laut Stocker wäre es sinnvoll, solche Mechanismen nach und nach in Modelle für Klimaprognosen einzuarbeiten. «Es gibt noch viel mehr solche Prozesse, die sich im ganz Kleinen abspielen.» Manche davon hätten vielleicht sogar einen gegenläufigen Effekt. Doch darüber sei noch viel zu wenig bekannt. «Wir müssen deshalb diese Blackbox öffnen und genau herausfinden, was im Detail auf der Mikroskala im Ozean passiert.»

Diese Medienmitteilung wurde zuerst vom externe Seite Schweizerischen Nationalfonds (SNF) veröffentlicht.

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