Unter dem Eis gibt es regelrechte Fluten
Mit ihren Messgeräten analysierten die Forschenden die Eigenschaften des Wasserstroms, darunter Temperatur, Salzgehalt und Sedimentgehalt, also die Menge an festen Partikeln im Wasser. Mit einem Echolot konnten sie den Querschnitt des wasserführenden Eiskanals auf etwa 100 mal 200 Metern abschätzen. Man darf sich den gletscherunterseitigen oder subglazialen Wasserstrom nicht als reissenden Fluss vorstellen. Es handelt sich vielmehr um ein vergleichsweise ruhendes Gewässer, und das meiste Wasser stammt aus dem Meer. Nur geringe Mengen – weniger als ein Kubikmeter pro Sekunde – sind Frischwasser, also Wasser, dass unterhalb des Kamb-Eisstroms in Richtung Meer nachströmt. «Diese Wassermenge ist viel kleiner als das, was uns die bestehenden Modelle vorhergesagt hatten», fasst Huw Horgan ein Hauptergebnis der Studie zusammen.
Nicht minder wichtig ist für das Forscherteam ein zweites Ergebnis: der subglaziale Wasserstrom fliesst nicht kontinuierlich fliesst, sondern sein Lauf schwankt mit der Zeit stark. «Wir vermuten, dass das Wasser aus flussaufwärts liegenden, subglazialen Seen stammt. Diese Seen füllen und entleeren sich in bestimmten Zyklen. Wenn sie sich entleeren, kommt, ergiesst sich eine Wasserflut in Richtung Meer», sagt Horgan. Dass solche Flutereignisse tatsächlich vorkommen, wiesen die Forscher nach, indem sie Sedimentproben aus dem Boden unter dem Eisstrom auswerteten. Grosse Flutereignisse treten demnach etwa alle zehn Jahre auf. Daneben gibt es möglicherweise kleinere Flutereignisse, die die Forscher mit den bisherigen Messmethoden allerdings nicht nachweisen können.
Wichtige Grundlagen für die Klimaforschung
Die Studie des internationalen Forscherteams ist ein Baustein zu einem besseren Verständnis der Wasserströme unter dem antarktischen Eisschild. Sie leistet zugleich einen Beitrag, um die Folgen der Erderwärmung in den kommenden Jahrzehnten verlässlicher abschätzen zu können. Die Schmelzprozesse im antarktischen Schelfeis sind nämlich eine wichtige Ursache für das erwartete Ansteigen des Meeresspiegels. Das liegt daran, dass das Ross-Schelfeis und andere Schelfeis-Formationen wie eine Barriere wirken: Sie halten die Eisströme auf dem antarktischen Festland zurück und verhindern so, dass sie zum Meer wandern und dabei auch abschmelzen.
«Die subglazialen Wasserströme spielen eine zentrale Rolle beim Abschmelzen des Schelfeises», betont Huw Horgan. «Unsere Erkenntnisse sind daher eine Voraussetzung für die Entwicklung neuer Modelle, die das Schmelzen der Schelfeises beschreiben und das Ansteigen des Meeresspiegels noch genauer vorhersagen können.»
Folgen der Erderwärmung
Die Veränderungen der Eisbedeckung am Südpol der Erde bleiben ein zentrales Thema der globalen Klimaforschung. Polarforscher Horgan wird im südlichen Sommer 2025/2026 in die Antarktis zurückkehren. Während der bevorstehenden Expedition wollen er und das Forschungsteam Daten gewinnen, die das längerfristige Verhalten des westantarktischen Eisschilds dokumentieren. Im Zentrum stehen dabei insbesondere wärmere Perioden, wie sie die Erde in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten erleben wird.