Altes Wasser, neue Erkenntnisse
Vor fünf Jahren begann auf dem Hönggerberg ein Experiment: Forschende richteten im Wald neben dem Campus ein Freiluftlabor ein. Mit Sensoren an Bäumen, im Boden und im Bach untersuchen sie die Wasserdynamik und das «Alte Wasser-Paradox». ETH-News begleitete den Initiator Marius Floriancic.

In Kürze
- Im Waldlabor der ETH Zürich erforschen Umweltingenieur:innen mit eigens entwickelten Anlagen die Wasserflüsse im Boden – ein weltweit einzigartiges Hydrologieexperiment.
- Lange galt die Bodenhydrologie im Wald als ein Rätsel. Jetzt bestätigen auch die Messdaten aus dem Waldlabor das sogenannte «Alte-Wasser-Paradox».
- Die Bodenproben zeigen: Der Grossteil des Wassers ist alt – es lagert seit Monaten oder Jahren im Boden. Selbst in nur zehn Zentimetern Tiefe sind zwei Drittel des Wassers älter als drei Wochen.
Marius Floriancic läuft mit schnellem Schritt einen schmalen Trampelpfad entlang, immer tiefer in den Wald hinein. Es ist feucht und kühl an diesem Donnerstagmorgen Ende April; in der Nacht zuvor hat es geregnet und vereinzelt tropft noch Wasser von den Baumkronen.Nach wenigen Minuten mündet der Trampelpfad in eine Lichtung mit mehreren mächtigen Buchen und Fichten.
Es sind jedoch weniger die Bäume, die hier ins Auge stechen, sondern die Elektronik und Technik, die an den Baumstämmen festgezurrt oder auf dem Waldboden installiert ist. Farbige Kabel hängen über den Ästen und verbinden Sensoren mit aufladbaren Batterien, die in wasserdichten Kästen versteckt sind.
«Das hier ist das Herz unseres Hydrologieexperiments im Waldlabor», erklärt der Forscher mit strahlenden Augen und sichtlich erfreut über diese wissenschaftliche Spielwiese, die er in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam mit seiner Gruppe aufgebaut hat. «Von meinem Büro auf dem Campus Hönggerberg habe ich etwa fünf Minuten hierhin», sagt Floriancic, Oberassistent am ETH-Institut für Umweltingenieurwissenschaften, das Teil des Departements Bau, Umwelt und Geomatik ist.















Marius Floriancic läuft mit schnellem Schritt einen schmalen Trampelpfad entlang, immer tiefer in den Wald hinein. Es ist feucht und kühl an diesem Donnerstagmorgen Ende April; in der Nacht zuvor hat es geregnet und vereinzelt tropft noch Wasser von den Baumkronen.Nach wenigen Minuten mündet der Trampelpfad in eine Lichtung mit mehreren mächtigen Buchen und Fichten.
Es sind jedoch weniger die Bäume, die hier ins Auge stechen, sondern die Elektronik und Technik, die an den Baumstämmen festgezurrt oder auf dem Waldboden installiert ist. Farbige Kabel hängen über den Ästen und verbinden Sensoren mit aufladbaren Batterien, die in wasserdichten Kästen versteckt sind.
«Das hier ist das Herz unseres Hydrologieexperiments im Waldlabor», erklärt der Forscher mit strahlenden Augen und sichtlich erfreut über diese wissenschaftliche Spielwiese, die er in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam mit seiner Gruppe aufgebaut hat. «Von meinem Büro auf dem Campus Hönggerberg habe ich etwa fünf Minuten hierhin», sagt Floriancic, Oberassistent am ETH-Institut für Umweltingenieurwissenschaften, das Teil des Departements Bau, Umwelt und Geomatik ist.
Die Studierenden und Doktorierenden können für Messungen oder neue Experimente jederzeit spontan in den Wald gehen. «Das ist weltweit einzigartig. Sonst liegen zwischen Hochschulen und Versuchsanlagen in Wäldern oft mehrere Stunden Fahrt.». Insofern sei das Waldlabor auch ein Glücksfall für die möglichst praxisnahe Ausbildung an der ETH, die in Zukunft von der Professur für Hydrologie und Flusssystemwissenschaften unter Paola Passalacqua weiter intensiviert werden soll.
Der Fingerabdruck des alten Wassers
Der Forscher zeigt auf einige Saugkerzen, die neben einer Buche im Boden eingelassen sind. «Die damit erstellte Messreihe ist der grösste Stolz unseres Labors.» Über Unterdruck ziehen die Kerzen Wasser aus 10, 20, 40 und 80 Zentimeter Tiefe. Gleichzeitig zieht ein sogenannter Freeflow-Sampler Proben von fliessendem Wasser aus unterschiedlichen Bodentiefen.
In den vergangenen fünf Jahren wurden jede Woche solche Bodenwasserproben auf stabile Isotope analysiert, was Rückschlüsse auf Alter, Herkunft und die involvierten hydrologischen Prozesse zulässt. Das Ergebnis ist ein eindeutiger «Fingerabdruck» des Wassers.
Die Daten bestätigen, was unter Hydrologen als das «Alte Wasser-Paradox» bekannt ist: In den Bodenproben findet sich vor allem «altes Wasser», das seit Monaten oder Jahren im Boden gespeichert ist, und nur sehr wenig neues Wasser aus kürzlich gefallenen Niederschlägen. Eine Messreihe mit Proben zwischen April 2020 bis April 2023 zeigt: Selbst in zehn Zentimetern Bodentiefe sind nur ein Drittel des gespeicherten Wassers jünger als drei Wochen. «Die Bodenhydrologie im Wald war lange Zeit eine Blackbox», sagt Floriancic. «Solche Messreihen sind deshalb für die gesamte Forschungsgemeinde wichtig.» Noch dieses Jahr sollen sämtliche Daten der vergangenen fünf Jahre veröffentlicht und Forschenden frei zur Verfügung gestellt werden.
Fünf Jahre Waldlabor
Seit 2020 wird dem Wald zwischen Zürich Höngg und Affoltern wortwörtlich der Puls gefühlt.
Im Waldlabor, das sich über eineinhalb Quadratkilometer erstreckt, forschen mehrere Gruppen zu Fragen der Waldökologie, -biologie und -hydrologie und vermitteln Wissen über die nachhaltige Waldpflege. Das Waldlabor ist auf eine Dauer von 100 Jahren ausgelegt. Getragen wird es durch einen gemeinnützigen Verein, dem die beiden Forschungseinrichtungen ETH Zürich und WSL (Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft), die beiden Waldeigentümerinnen Grün Stadt Zürich und Kanton Zürich sowie WaldZürich (Verband der Waldeigentümer) und der Verband Zürcher Forstpersonal angehören. Regelmässig werden Führungen für Gruppen, Fachleute und Schulen angeboten. Die Forschungstätigkeiten im Waldlabor können dank der Unterstützung zahlreicher Personen umgesetzt werden.
Regelmässig werden Führungen für Gruppen, Fachleute und Schulen angeboten, am 28. Juni 2025 findet im Waldlabor ausserdem der externe Seite Walderlebnistag statt.
Mehr Informationen unter: externe Seite www.waldlabor.ch/.
Rund 200 Meter unterhalb der Lichtung mit all den Lysimetern, Wetterstationen, Boden- und, Drucksonden fliesst der Holderbach. Dort hat Floriancic's Team am Ufer einen Autosampler installiert, der alle sechs Stunden eine Wasserprobe nimmt. Die Proben werden ebenfalls auf stabile Isotope analysiert.
«Auch hier zeigt sich das Alte Wasser-Paradox», erzählt der Umweltingenieur. Selbst nach einem heftigen Gewitter sei der Grossteil des Wassers im Holderbach älter als einen Monat. Und über ein Jahr hinweg seien lediglich 14 Prozent des Abflusses jünger als einen Monat. Der Rest kommt aus dem Boden, wo das Wasser mindestens einen Monat lang gespeichert war.
Mit Kolleginnen und Kollegen der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) hat Floriancic Wasserproben von 32 Einzugsgebieten in den Alpen untersucht. Das Ergebnis: Durchschnittlich 93 Prozent des abfliessenden Wassers in den Alpenflüssen war älter als einen Monat. Nur ein geringer Teil stammte aus aktuellen Regenfällen und der Schneeschmelze. «Solange die Poren im Boden mit altem Wasser gefüllt sind, versickert neues Wasser über Wurm- oder Wurzellöcher rasch in die Tiefe und ins Grundwasser», erklärt Floriancic. Solche Erkenntnisse können Hochwasserschutz-Planungen verbessern.
Regenarme Winter sind verheerend
Floriancic zeigt auf eine spiralförmige Rinne, die entlang eines Buchenstammes mit schwarzem Klebeband befestigt ist. Am Ende ein Schlauch, der mit einem transparenten Plastikkanister verbunden ist. «Wir basteln hier vieles selbst, denn für diese Art von Forschung gibt es oft keine Standardmessgeräte.» Mit der Installation wird das Wasser aufgefangen, das von der Baumkrone entlang des Stammes hinunter zum Boden fliesst.
Messungen zeigen: Weil das Blätterdach fehlt und die Verdunstungsverluste geringer sind, ist dieser Fluss im Winter deutlich höher als im Sommer. Der Waldboden wird hauptsächlich im Winter mit Wasser versorgt, vor allem im Bereich von zehn bis 80 Zentimetern Tiefe. Und dies obschon durchschnittlich 60 Prozent des Regens im Sommer fallen. Regenarme Winter setzen den Bäumen besonders zu, weil der Boden zu wenig Wasser speichern kann für die heissen Sommertage.
Aber nicht nur das Blätterdach, sondern auch die Bodenbedeckung ist für die Waldhydrologie von Bedeutung. Je nach Beschaffenheit trägt sie viel zu einem feuchten Mikroklima im Wald bei, ist aber auch dafür verantwortlich, dass weniger Wasser in den Boden gelangt.
Um diesen Effekt nachzuweisen, haben die Forschenden mehrere quadratische Bodenparzellen mit einem Metallrahmen eingefasst und unterirdisch mit Sensoren bestückt. Einige Quadrate sind mehrere Zentimeter hoch mit organischem Material, wie Blätter, Nadeln und Zapfen bedeckt. Andere sind unbedeckt und der Boden liegt frei.
«Lange gingen Hydrologen davon aus, dass etwa drei bis vier Prozent der Niederschläge in der Bodenbedeckung zurückgehalten werden – und diese Schicht damit weitgehend vernachlässigbar ist», erzählt Floriancic. Seine Messungen ergaben jedoch ein anderes Bild: Rund 18 Prozent des Niederschlags wird in der Streuschicht und im Totholz gespeichert. Rechnet man die rund 20 Prozent des Niederschlags hinzu, die in den Blättern der Baumkronen hängen bleiben und wieder in die Atmosphäre verdunsten, so gelangen von 1000 Millimeter Niederschlag nur 600 Millimeter tatsächlich in den Boden. «Insofern ist der Waldboden deutlich trockener als wir lange Zeit gedacht hatten.»
«Scholander-Bombe» misst das Wasserpotenzial
Um besser zu verstehen, wie Bäume Wasser aufnehmen und transportieren, hat Floriancics Team an mehreren Stämmen Saftfluss-Sensoren installiert. Mit zwei miteinander verbundenen Fühlern, die im Baumstamm stecken, wird der Temperaturgradient gemessen, worüber sich der Wasserfluss im Stamm berechnen lässt. Zugleich misst ein Dendrometer kontinuierlich den Umfang des Baums und registriert, wenn sich dieser bei der Wasseraufnahme ausdehnt oder bei der Transpiration wieder zusammenzieht.
Für zusätzliche Tests steht im Wald sogar eine Art Laborkapelle. In einem verschlossenen grauen Kasten, der an einen Baum gekettet ist, verbirgt sich eine Scholander-Bombe, ein schweres Messgerät, das an eine Sauerstoffflasche angeschlossen ist. Damit bestimmen die Forschenden das Wasserpotenzial im Blatt, was Rückschlüsse auf den Trockenstress eines Baumes zulässt.
«Buchen und Fichten sind sehr unterschiedliche Charaktere», sagt Floriancic. Die Buche gehe verschwenderisch mit dem Wasser um und halte die Spaltöffnungen auf ihren Blättern für die Photosynthese lange offen. Fichten hingegen schliessen ihre Spaltöffnungen bei Trockenstress früher, um Wasser zu sparen. Dadurch betreiben sie aber automatisch auch weniger Photosynthese. Diese ist jedoch für das Wachstum und die Vitalität des Baumes entscheidend.
Floriancic zeigt auf vier gelbe Einfassungen, die vor einer hohen Fichte aus dem Boden ragen, geht in die Hocke und hebt eine der Abdeckungen hoch. Darunter liegt eine Wurzel, die ein spezialisiertes Unternehmen möglichst schonend freigelegt hat. Sie ist mit einem Saftflussmeter und Dendrometer bestückt.
Die gesammelten Daten sollen helfen, die Wasserdynamik in der Wurzel besser zu verstehen. Im Januar hat Stefano Martinetti, einer von Floriancic's Doktoranden, erste Ergebnisse aus diesen Messungen veröffentlicht: Bäume nehmen mit zunehmender Bodentrockenheit weniger Wasser über die oberflächennahen Wurzeln auf und aktivieren stattdessen tiefere Wurzeln.
Zudem zeigt sich in den Wasserisotopen wiederum das Alte Wasser-Paradox. «Selbst in sehr nassen, regenreichen Sommern finden wir in den Wurzeln und Ästen vor allem altes Winterwasser», sagt Floriancic. Das Sommerwasser werde vorwiegend von Oberflächen verdunstet und von den Gräsern und Sträuchern aufgenommen, die deutlich weniger tiefe Wurzeln schlagen.
Bodenqualität ist für Wasserspeicherung zentral
Das öffentliche Interesse an der hiesigen Forschung sei gross, sagt Floriancic. Oft führe er nicht nur Studierende durch das Waldlabor, sondern auch Försterinnen und Förster. «Obwohl wir hier Grundlagenforschung betreiben.» Eine der ersten Fragen der Försterinnen und Förster sei, welche Bäume angesichts der Klimakrise in Zukunft überlebensfähig seien. Darauf antwortet Floriancic, dass die Forschung keine eindeutigen Antworten habe; die Forschungsergebnisse zu zukunftsträchtigen Baumarten seien noch begrenzt.
Dennoch kann er einige praxisrelevante Erkenntnisse aus fünf Jahren Forschung vermitteln: «Der Bodenaufbau und die Bodenqualität sind zentral für die Wasserspeicherung. Je mehr organische Substanz im Boden ist, desto höher ist die Speicherkapazität für Wasser.» Insofern ist es nicht nur für die Artenvielfalt wichtig, möglichst viel Totholz im Wald zu belassen, sondern auch für den Wasserhaushalt.
Wie systematische Messungen eines Studenten zeigen, bleibt darin viel Feuchtigkeit gespeichert. Zudem ist es für den Wasserhaushalt vorteilhaft verschiedene Baumarten miteinander zu kombinieren, da ihre Wurzeln in unterschiedlichen Tiefen an das Bodenwasser gelangen und sich so weniger konkurrenzieren. Das heisst: Je grösser die Vielfalt im Wald, desto klimaresistenter ist er. Das ist für einmal kein Paradox, sondern der offensichtliche Zusatznutzen einer hohen Biodiversität.
Literaturhinweise
Floriancic MG, Allen ST & Kirchner JW. Young and new water fractions in soil and hillslope waters; In: Hydrology and Earth System Sciences, Volume 28, issue 18, 2024. DOI: externe Seite https://doi.org/10.5194/hess-28-4295-2024 .
Martinetti, S, Molnar, P, Carminati, A, Floriancic, MG. Contrasting the soil–plant hydraulics of beech and spruce by linking root water uptake to transpiration dynamics. In: Tree Physiology, Volume 45, Issue 1, 2025. DOI: externe Seite https://doi.org/10.1093/treephys/tpae158
Alle Publikationen mit Forschungsergebnissen aus dem hydrologischen Experiment im Waldlabor finden sich auf der WaldLab Forest Experimental Site Webseite.