«Wir brauchen mehr Zeit zum Nachdenken»

Rektor Günther Dissertori erläuterte am 169. Jahrestag der ETH Zürich, welches grundlegende Ziel er mit einem Reformpaket in der Lehre verfolgt. Ebenfalls sprachen ETH-Präsident Joël Mesot und Bundesrat Albert Rösti zu den zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Der Vorsteher des UVEK und ETH-Alumnus hielt die diesjährige Festansprache.

von Noe Lüthi, Hochschulkommunikation
Günther Dissertori auf der Bühne im ETH Hauptgebäude.
Mit einer feierlichen Rede leitete ETH-Zürich-Rektor Günther Dissertori den diesjährigen ETH-Tag ein. (Bild: Alessandro Della Bella / ETH Zürich)

In Kürze

  • Die ETH Zürich feierte am 16. November ihren 169. Geburtstag und hiess Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft willkommen.
  • In seiner Rede stellte Rektor Günther Dissertori ein neues Reformpaket vor, das auch einen Einfluss auf den akademischen Kalender hat.
  • Die diesjährige Festrede hielt Bundesrat Albert Rösti, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation und ETH-Alumnus.

ETH-Rektor und Physiker Günther Dissertori erinnerte in seiner Rede daran, wie relativ Zeit sei und wie atemlos unsere Zeit geworden sei. Der Rektor zitierte aus dem berühmten Roman «Il Gattopardo», in dem es heisst: «Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann muss sich alles ändern». Wenn die ETH in dieser beschleunigten Welt fundierte Lösungen liefern soll, brauche es unbedingt Zeit zum Nachdenken und «Ruhe im Kopf», so der Rektor.

Dissertori stellte deshalb ein neues Reformpaket vor, das den Studierenden genau dies vermehrt bieten soll. Konkret heisst das, dass die Prüfungssession vom Ende der Sommersemesterferien an den Anfang verschoben wird. Das schaffe mehr Zeit für Aktivitäten wie Praktika in der Industrie, für Summer Schools, für die persönliche Entwicklung, erklärte der ETH-Rektor. Ziel dieser Reform sei, «dass unsere Studierenden nicht nur Wissen anhäufen. Sondern dass sie damit in die Gesellschaft gehen und es anwenden. Für die Gesellschaft.»

Die ETH baut Brücken

Mit Blick auf die Spannungen und kriegerischen Ereignisse rund um den Globus plädierte ETH-Präsident Joël Mesot für mehr «Kräfte, die einen und nicht spalten, die das Gegenüber als Teil der Lösung und nicht des Problems wahrnehmen.» Die ETH Zürich sei seit jeher eine Brückenbauerin, so Mesot. Die ETH Zürich versuche, Brücken in die Gesellschaft und Wirtschaft zu schlagen, indem sie beispielsweise die Industrie mit dem neuesten technologischen Know-how versorge. Den Dialog mit der Politik verstärken soll die geplante School of Public Policy, die Ex-Bundeskanzler und ETH-Alumnus Walter Thurnherr aufbauen wird.

Der ETH-Präsident erwähnte auch, dass dieses Herbstsemester 13 Prozent mehr Bachelorstudierende ein Studium an der ETH begonnen haben, was die anhaltende Attraktivität der ETH zeige. Das Wachstum sei aber auch eine Herausforderung. Der ETH-Präsident zeigte Verständnis für die geplante Verdreifachung der Studiengebühren für Bildungsausländer:innen, warnte aber gleichzeitig vor amerikanischen Verhältnissen mit horrenden Studiengebühren. Mesot weiter: «Ich weiss nicht, wie es dem jungen Albert Rösti aus Kandersteg ergangen wäre, wenn die Studiengebühren damals drei- oder viermal so hoch gewesen wären. Ich kann Ihnen auf jeden Fall sagen, dass sich der Greyerzer Joël Mesot nicht für ein ETH-Studium hätte einschreiben können.»

Zweifel an der ETH sind nicht angebracht

30 Jahre nach seinem Abschluss, kehrte Bundesrat Albert Rösti als Gastredner wieder in seine Alma Mater zurück. In seiner Festansprache bezeichnete er die ETH als Wissensgenerator, der die Schweiz in der Vergangenheit grundlegend verändert habe und nahm ebenfalls das Thema des Brückenbauens auf. Und mit Blick auf die Zukunft meinte der Bundesrat: «Die symbiotische Verbindung zwischen unserem Land und der ETH wird sogar noch an Bedeutung gewinnen». Der Erfolg der ETH und der Erfolg der Schweiz beruhe auf dem weiten Handlungsspielraum der liberalen Ordnung, sowie auf der erfolgreichen Verbindung von Weltoffenheit und Bezug zur Schweiz, so Bundesrat Rösti weiter.

Auch ein Tag für die Studierenden

Am ETH-Tag kommen auch die Studierenden ausführlich zu Wort. So wandte sich Nic Cantieni als Präsident des Studierendenverbandes VSETH im Namen aller Studierenden an die Gäste. Das Thema Studiengebühren für ausländische Studierende beschäftigte im vergangenen Jahr nicht nur die Schulleitung, sondern auch den VSETH. Er befürchte, dass eine finanzielle Hürde Talente ausschliesse und Sparmassnahmen die Innovation bremsen, so Cantieni.

Im Anschluss an seine Rede überreichte der VSETH-Präsident ausgewählten Dozierenden die Goldene Eule. Diese Auszeichnung geht an besonders engagierte Dozierende, die von den Studierenden gewählt werden. Neben den Goldenen Eulen erhielt Professorin Nicola Spaldin den Award for Best Teaching.

Weitere Vertreter:innen der Studierenden waren an diesem Tag Sandra Haltmeier und Reinhard Wiesmayr. Mit ihren Vorträgen gaben sie konkrete Einblicke in aktuelle Forschungsarbeiten am Departement für Informationstechnologie und Elektrotechnik. Sie beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit KI, wenn auch in unterschiedlichen Kontexten.

Fünf Ehrendoktor:innen, eine Ehrenrätin und ein Ehrenrat

In diesem Jahr erhielten gleich fünf herausragende Forschungspersönlichkeiten die Ehrendoktorwürde der ETH Zürich. Professor Jason W. Chin ist ein Pionier in der Erweiterung des genetischen Codes von Zellen und entwickelte bis heute weit verbreitete Ansätze, um Proteinwechselwirkungen zu erforschen.

Ein weiterer Forscher, der in den Kreis der Ehrendoktor:innen aufgenommen wurde, ist Professor Scott E. Denmark. Der US-Chemiker promovierte 1980 an der ETH Zürich bei Alfred Eschenmoser und erhielt die Auszeichnung für seine Entwicklung neuer Katalysekonzepte und nützlicher Synthesemethoden.

Die dritte Ehrendoktorwürde ging an Professorin Helen H. Hobbs. Sie wurde für die Entdeckung von Genvarianten beim Menschen ausgezeichnet, die den Cholesterinspiegel und die Fettverteilung im Körper beeinflussen. Diese Entdeckung ermöglicht es, individuellere Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf- und Lebererkrankungen zu entwickeln.

Rektor Dissertori durfte eine weitere Ehrendoktorwürde an Professorin Maria Leptin verleihen. Sie wurde für ihre Entdeckung der molekularen und zellulären Prozesse während der Gastrulation sowie für ihr herausragendes Engagement in der Wissenschaftsgemeinschaft und ihre Förderung von Exzellenz als Direktorin der EMBO ausgezeichnet. Seit 2021 ist sie zudem die Präsidentin des Europäischen Forschungsrats. In diesen Funktionen hat sie die europäische Forschungslandschaft massgeblich geprägt.

Last but not least erhielt auch Professorin Susan Trumbore diese besondere ETH-Auszeichnung. Die Forscherin ist seit 2009 Direktorin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und spielt eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Wechselwirkungen zwischen der Biosphäre, dem Kohlenstoffkreislauf und dem Erdklima zu verstehen.

Zudem verleiht die ETH am Festtag auch die Ehrenratswürde an Persönlichkeiten, die nennenswerte Beiträge zur Unterstützung der Hochschule leisten. Dieses Jahr erhielt die Ökonomin Andréa M. Maechler die Auszeichnung, die wichtige Impulse für die globale Wirtschaftspolitik gesetzt hat und durch innovative Projekte die Cybersicherheit der Schweizer Finanzinfrastruktur stärkte.

Ebenfalls neu im Ehrenrat ist der Unternehmer und ETH-Alumnus Walter Fust, der nach seinem Maschinenbaustudium an der ETH Zürich eines der bedeutendsten Schweizer Unternehmen zum Erfolg geführt hat und sich für die ETH Foundation engagiert.

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