Klimawandel führt zu mehr alpinen Gefahren
Von Steinschlag bis Eislawine: Der Klimawandel intensiviert vielerorts Naturgefahren in den Bergen und stellt den Alpenraum damit vor besondere Herausforderungen. Das geht aus einer Studie hervor, die Glaziologin Mylène Jacquemart und Permafrost-Experte Samuel Weber von der ETH Zürich und von der Eidg. Forschungsanstalt WSL gemeinsam koordiniert haben. Das internationale Team hat mehr als dreihundert wissenschaftliche Arbeiten aus den vergangenen drei Jahrzehnten ausgewertet.
Die Studie konzentriert sich auf die in den Alpen am häufigsten auftretenden Prozesse: Steinschlag, Bergsturz, Murgang, Eis- und Schneelawinen. Die Ergebnisse:
- Steinschlag: Die Aktivität hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen, allerdings nur im hochalpinen Bereich. Dort taut der Permafrost (siehe Kasten), und die Gletscher gehen zurück. Das schwächt verbreitet das Gestein und begünstigt dadurch, dass sich Steine und Felsmassen lösen.
- Bergsturz: Für diese grossen Ereignisse liegen vergleichsweise wenige Daten vor. «Auch wenn eine klare Aussage noch nicht möglich ist, deutet vieles darauf hin, dass Bergstürze heute häufiger vorkommen», sagt Weber.
- Murgänge: Eindeutig hat die Zahl der Starkniederschläge zugenommen, die Muren auslösen können. «Aber nur die Hälfte der untersuchten Studien deutet auf eine Zunahme der Murgänge hin», sagt Jacquemart. Allerdings gebe es Anzeichen für mehr Aktivität oberhalb der Baumgrenze und in bislang nicht betroffenen Gebieten. Dort steht aufgrund des Rückgangs der Gletscher und vermehrten Steinschlägen mehr lockeres Material zur Verfügung, welches die Niederschläge in Bewegung setzen können.
- Lawinen: «In niedrigen Höhenlagen geht die Aktivität zurück, weil dort die Schneemengen abnehmen. In hohen Lagen hat die Lawinenaktivität hingegen leicht zugenommen», erläutert Weber. Gleichzeitig verändert sich deren Art. Trockene Lawinen treten heutzutage im Mittel weniger oft auf, Nassschneelawinen häufiger.
- Eislawinen: An vielen Orten verschwinden mit den Gletschern auch die Eislawinen. Allerdings deuten regionale Beobachtungen darauf hin, dass grössere Eislawinen seit der Jahrtausendwende häufiger auftreten. «Wo und wie sich Eislawinen genau verändern, muss noch weiter untersucht werden», räumt Jacquemart ein.
Unerwartet kommt das alles nicht. Jacquemart und Weber verweisen auf den ersten IPCC Sachstandsbericht aus dem Jahr 1990, der bereits eine Zunahme alpiner Gefahren durch den Klimawandel prognostiziert hatte. Bei weiter zunehmender Erwärmung werden Schnee- und Eislawinen bis Ende des 21. Jahrhunderts seltener, erwarten die Forschenden. Gleichzeitig erwärmt sich der Permafrost auch in hohen Lagen weiter. Daher gehen die Forschenden davon aus, dass Steinschläge, Murgänge und Bergstürze häufiger werden. «Dieser Wandel stellt die Gesellschaft im Alpenraum vor grosse Herausforderungen», betonen Jacquemart und Weber.
Die Studie ist im Rahmen WSL-Forschungsprogramms externe Seite CCAMM entstanden.
Was ist … Permafrost?
Permafrost ist Boden wie Fels, Schutt oder Moräne, der durchgehend Temperaturen unter 0°C aufweist und daher ständig gefroren ist. Rund fünf Prozent der Fläche der Schweiz besteht aus Permafrost, in der Regel in kalten und hochgelegenen Schutthalden und Felswänden oberhalb von 2500 Metern über dem Meeresspiegel.
Literaturhinweis
Mylène Jacquemart & Samuel Weber, Marta Chiarle, Małgorzata Chmiel, Alessandro Cicoira, Christophe Corona, Nicolas Eckert, Johan Gaume, Florie Giacona, Jacob Hirschberg, Roland Kaitna, Florence Magnin, Stepanhie Mayer, Christine Moos, Alec van Herwijnen, Mrakus Stoffel
externe Seite Detecting the impact of climate change on alpine mass movements in observational records from the European Alps
Earth Science Reviews (Oktober 2024), doi: 10.1016/j.earscirev.2024.104886
Kontakt
Dr. Mylène Jacquemart, Wissenschaftlicher Mitarbeiterin, Professur für Glaziologie, ETH Zürich, +41 44 632 41 62,
Dr. Samuel Weber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Eidg. Forschungsanstalt WSL, +41 81 4170 376,