Nahrungsvorlieben von Mikroben steuern Kohlenstoffbindung in der Tiefsee

Wie beeinflussen mikrobielles Verhalten und Interaktionen die Kohlenstoffspeicherung in der Tiefsee? Ein internationales Forschungsteam unter Co-Leitung von Prof. Roman Stocker zeigt, dass die Nahrungsvorlieben von Mikroben eine zentrale Rolle beim Abbau von Lipiden spielen, einem wichtigen Bestandteil organischer Partikel. Diese mikrobiellen Präferenzen bestimmen, wie viel Kohlenstoffdioxid (CO2) im Laufe der Zeit in die Tiefsee transportiert und dort gespeichert wird.

Mann fischt
Benjamin Van Mooy (WHOI) setzt eine Sedimentfalle an Bord der R/V Neil Armstrong ein, um absinkende Partikel für die Lipidanalyse zu sammeln. Die Studie war eine Zusammenarbeit zwischen der ETH Zürich, dem WHOI und der Universität Calgary. (Foto: Helen Fredricks, ©WHOI)

Der Transport von Kohlenstoffdioxid (CO2) von der Meeresoberfläche, wo es in aktivem Kontakt mit der Atmosphäre steht, in die Tiefsee, wo es für Jahrzehnte, Jahrhunderte oder länger gespeichert bleiben kann, wird von einer Reihe scheinbar unbedeutender Prozesse beeinflusst.

Einer dieser Schlüsselprozesse auf Mikroebene sind die Nahrungsvorlieben von Bakterien, die sich von organischen Molekülen, so genannten Lipiden, ernähren, so ein Artikel der Zeitschrift Science mit dem Titel «externe Seite Nahrungspräferenzen und Interaktionen von Mikroorganismen beeinflussen den Transport von Lipiden in die Tiefsee».

«Unsere Studie hat enorme Unterschiede bei den Nahrungsvorlieben diverser Mikroorganismen aufgezeigt. Welche Fettsäuremoleküle die jeweiligen Bakterien bevorzugen, scheint stark zu variieren. Dies hat grosse Auswirkungen auf unsere Erkenntnisse über Kohlenstoffbindung und die biologische Kohlenstoffpumpe», erläutert der Mitautor des Artikels, Benjamin Van Mooy, leitender Wissenschaftler in der Abteilung für Meereschemie und Geochemie an der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI). «In dieser Studie wurde die molekulare Zusammensetzung der absinkenden Biomasse mittels modernster Methoden mit deren Zersetzungsraten verknüpft, die wir mit den Nahrungsvorlieben der Bakterien in Verbindung bringen konnten.» Die biologische Kohlenstoffpumpe bezeichnet den Prozess, bei dem Biomasse von der Meeresoberfläche in die Tiefsee transportiert wird.

Vergrösserte Ansicht: Zellen des Phytoplanktons
Zellen von Phytoplankton (Phaeodactylum tricornutum, eine Kieselalge) mit Lipidtröpfchen im Inneren jeder Zelle, die als schwach gelbe Kugeln erscheinen. (Bild: Steven Smriga, ETH Zürich)

Etwa 5 bis 30 Prozent der organischen Partikel an der Meeresoberfläche bestehen aus Lipiden – kohlenstoffreichen Fettsäure-Biomolekülen, die Mikroorganismen zur Energiespeicherung und für diverse Zellfunktionen nutzen. Sinkt organisches Material in tiefe Ozeanschichten ab, werden diese Lipide von verschiedenen Gemeinschaften residenter Mikroben abgebaut und verwertet, was eine wichtige Regulierungsfunktion für die globale CO2-Konzentration darstellt. Erkenntnisse über diesen Prozess sind von entscheidender Bedeutung, um den globalen Kohlenstofffluss in sich verändernden Meeresregimen genauer vorhersagen zu können. Geografische Gebiete, in denen mehr Lipide unzersetzt in die Tiefsee gelangen, könnten sich als Hotspots für die natürliche Kohlenstoffspeicherung erweisen.

«Aus Meerespartikeln isolierte Bakterien wiesen Nahrungsvorlieben auf, die von selektivem bis hin zu promiskuitivem Abbau reichten», heisst es in dem Artikel. «Anhand synthetischer Gemeinschaften aus Isolaten mit unterschiedlichen Nahrungsvorlieben konnten wir zeigen, dass der Lipidabbau durch mikrobielle Interaktionen moduliert wird. Ein Transportmodell, das diese Dynamik berücksichtigt, liefert Hinweise darauf, dass metabolische Spezialisierung und Gemeinschaftsdynamik die Effizienz des Lipidtransports im Mesopelagial beeinflussen können.» Diese Zone liegt etwa 200 bis 1000 Meter unter der Meeresoberfläche.

«Ich war fasziniert, wie viel man über die Funktionsweise des Ozeans lernen kann, wenn man zwei Technologien – chemische High-End-Analytik und Mikroskalenbildgebung – kombiniert, die bisher nie zusammen eingesetzt wurden», sagt Mitautor Roman Stocker, Professor am Institut für Umweltingenieurwissenschaften, Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich. «Die Arbeit an der Schnittstelle dieser spannenden Technologien, die uns heute in der mikrobiellen Ozeanographie zur Verfügung stehen, dürfte auch in Zukunft wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie Mikroorganismen die Weltmeere beeinflussen.»

Zwei Männer hantieren mit Laborgeräten
Die Co-Autoren Lars Behrendt (links) und Jon Hunter (rechts) nehmen an Bord der R/V Neil Armstrong Proben von sinkenden Partikeln für die Lipidanalyse. (Foto: Helen Fredricks, ©WHOI)

«Die Wissenschaft beginnt zu verstehen, dass Lipide im Ozean je nach Umgebung – an der Küste oder im offenen Meer – und nach Jahreszeit stark variieren können», sagte Benjamin Van Mooy. «Anhand dieser Erkenntnisse lässt sich untersuchen, wohin Lipide im Ozean gut absinken und wo sie besonders effizient beziehungsweise kaum oder nur sehr ineffizient gebunden werden.»

«Das Faszinierende an dieser Studie ist für mich, dass Bakterien nicht jedes beliebige Lipid zu fressen scheinen, sondern hochspezialisiert sind und wie wir bestimmte Vorlieben haben», so Mitautor Lars Behrendt, ausserordentlicher Professor und SciLifeLab-Fellow am Science for Life Laboratory, Abteilung für Biologie von Organismen, der schwedischen Universität Uppsala. «Dies verändert unsere Vorstellung davon, wie sich Mikroorganismen in ihrer natürlichen Umgebung ernähren und sich entweder gegenseitig helfen oder um dieselbe Ressource konkurrieren können. Es legt auch den Schluss nahe, dass Bakterien bestimmte Verbindungen wie Lipide leichter abbauen oder anderweitig nutzen können, wenn sie dies in Gemeinschaft tun.»

Dabei untersuchten die Forscher nicht nur einzelne Bakterienarten, sondern auch, wie die Abbauraten bei artenübergreifenden Bakteriengemeinschaften je nach Nahrungsvorlieben variierten, was ihnen ökologisch relevanter erschien als die isolierte Betrachtung einzelner Arten. Dabei fanden sie heraus, dass einfache synthetische Co-Kulturen andere Zersetzungsraten und Verzögerungszeiten aufwiesen als Monokulturen. Die Forscher wiesen auch darauf hin, dass sich der Abbau organischer Partikel in der natürlichen Umgebung komplexer darstellt als in der Studie beschrieben.

«Vor allem das Phytoplankton macht die Weltmeere zu einer der grössten Kohlenstoffsenken. Im weltweiten Kohlenstoffkreislauf spielen diese Mikroorganismen eine wichtige Rolle, denn sie absorbieren etwa so viel Kohlenstoff wie alle Pflanzen an Land zusammen», sagte Mitautor Uria Alcolombri, Senior Lecturer am Alexander Silberman Institute of Life Sciences, Department of Plant and Environmental Sciences der Hebräischen Universität Jerusalem. «Faszinierend ist, dass wir mit der Untersuchung winziger mikrobieller Prozesse unter dem Mikroskop gleichzeitig die biologischen Faktoren aufdecken können, die dieses riesige 'Verdauungssystem' der Ozeane regulieren.»                                                                             

Die Studie wurde massgeblich von der Moore Foundation, der Simons Foundation und der National Science Foundation finanziert. Weitere Unterstützung kam von der European Molecular Biology Organization, dem Natural Sciences and Engineering Research Council Kanada, der Canada Foundation for Innovation, dem Human Frontier Science Program, dem Canada Research Chair der Canadian Institutes for Health Research, dem Unabhängigen Forschungsfonds Dänemark, dem Schwedischen Forschungsrat, dem Science for Life Laboratory, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union und dem Schweizerischen Nationalfonds.

Literaturhinweis

Lars Behrendt, Uria Alcolombri, Jonathan E. Hunter, Steven Smriga, Tracy Mincer, Daniel P. Lowenstein, Yutaka Yawata, François J. Peaudecerf, Vicente I. Fernandez, Helen F. Fredricks, Henrik Almblad, Joe J. Harrison, Roman Stocker, Benjamin A. S. Van Mooy
externe Seite Microbial dietary preference and interactions affect the export of lipids to the deep ocean
Science (2024), doi: 10.1126/science.aab2661


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