Jedes Mal, wenn sich die globale Lufttemperatur um ein Zehntelgrad erhöht, verschwinden knapp 9'000 Meteoriten von der Oberfläche des antarktischen Eisschilds. Das hat ein Team aus Forschenden aus der Schweiz und Belgien mithilfe von künstlicher Intelligenz, Satellitenbeobachtungen und Klimamodellprojektionen errechnet. Der Verlust zieht massive Konsequenzen nach sich: Schliesslich handelt es sich bei Meteoriten um einzigartige ausserirdische Gesteinsproben, die Einblicke in die Ursprünge des Lebens auf der Erde und die Entstehung des Mondes gewähren.
Rasanter Verlust
Bis 2050 dürfte ein Viertel der geschätzt 300'000 bis 800'000 Meteoriten in der Antarktis ins Eis eingeschmolzen und damit verloren sein. Bis zum Ende des Jahrhunderts gehen Forschende davon aus, dass sich diese Zahl – bei einem starken Temperaturanstieg – auf bis zu Dreiviertel der Vorkommen erhöhen könnte.
Co-Autor der in der Fachzeitschrift Nature Climate Change erschienenen Studie ist Harry Zekollari, der als Teammitglied von Prof. Daniel Farinotti in der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich daran mitgearbeitet hat. Gemeinsam mit Coautorin Veronica Tollenaar von der Université Libre de Bruxelles stellt er in der Untersuchung fest, dass die kontinuierliche Erderwärmung jährlich rund 5'000 Meteoriten versinken lässt – und damit fünfmal schneller als sie geborgen werden können.
Meteoriten – Zeitkapseln des Universums
Zekollari, der heute Professor für Glaziologie an der Vrije Universiteit Brussel ist, drängt auf massive internationale Anstrengungen, um die Gesteine von höchstem wissenschaftlichen Wert zu sichern: «Wir müssen die Bergung der Meteoriten in der Antarktis intensivieren und beschleunigen. Ihr Informationsgehalt ist mit dem von Daten aus Eisbohrkernen von abschmelzenden Gletschern gleichzusetzen – und ihr Verlust ebenso dramatisch. Mit ihnen verschwindet so manches Geheimnis des Universums.»
Meteoriten sind Gesteinsfragmente aus dem Weltraum, die einzigartige Informationen über unser Sonnensystem enthalten. Auf der Erde stösst man vor allem in der Antarktis auf sie, wo bisher rund 60 Prozent aller je gefundenen Meteoriten an der Oberfläche des Eisschilds geborgen wurden. Durch die Strömung des Eisschilds sammeln sich die Meteoriten in sogenannten Meteoriten-Strandungszonen, wo sie durch ihre dunkle Schmelzkruste leicht auffallen. Neben intensiveren Massnahmen zur Meteoritenbergung liessen sich die Expeditionen kurzfristig auch effizienter gestalten. Dieses Potenzial liegt hauptsächlich in datengestützten Analysen zur Identifizierung unerschlossener Meteoritenvorkommen und Kartierung von Blaueisfeldern, wo Meteoriten oft liegen.