Eine Bakterienfalle für die Suche nach Stoffwechselvirtuosen

Mit einem neuartigen Mikrofluidik-Chip haben ETH-Forschende um Prof. Roman Stocker und Dr. Estelle Clerc nachgewiesen, dass Bakterien nicht nur kleine Nahrungsmoleküle erkennen, sondern auch auf grosse, komplexe Polymere zuschwimmen. Ein Start-up nutzt nun diese Erkenntnisse und setzt die Technologie dafür ein, um Mikroben in der Umwelt aufzuspüren, die Schadstoffe abbauen können.

von Ori Schipper, Iris Mickein
Estelle Clerc
Estelle Clerc, Postdoktorandin im Stocker Lab und Gründerin des Start-ups CellX Biosolutions, bereitet einen Mikrofluidik-Chip vor, um das Verhalten von Bakterien zu testen. (Foto: Nicole Davidson, ETH Zürich)

Dass sich Bakterien in wässrigen Lösungen mit Hilfe feinster Wimpern auf ihrer Oberfläche fortbewegen können, weiss die Wissenschaft schon lange. Bisher ging die Fachwelt allerdings davon aus, dass die Mikroben für komplexe Polymere blind sind. Und dass sie sich nur an leicht diffundierenden Substanzen wie einfachen Zuckermolekülen orientieren, die sie direkt fressen oder verstoffwechseln können.

Widerlegte gängige Lehrmeinung

Doch nun widerlegen Ergebnisse des Forschungsteams um Roman Stocker am Departement für Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) der ETH Zürich die gängige Lehrmeinung: Mit einem Mikrofluidik-Chip, den sie zusammen mit einem Forschungsteam von der UTS Sydney entwickelt haben und der aus einer kreditkartengrossen Kunststoffplatte mit kleinen Kammern im Innern besteht, konnten die Forschenden bei Feldarbeiten im norwegischen Raunefjord zeigen, dass Bakteriengemeinschaften dem Konzentrationsgefälle von Laminarin und anderen komplexen Polysacchariden folgen.

Laminarin kommt in zahlreichen Arten von Braunalgen und weiteren Mitgliedern des Phytoplanktons vor. Es enthält bis zu einem Viertel des Kohlenstoffs, der in Meeren durch Photosynthese gebunden wird. «Laminarin stellt deshalb eine der wichtigsten Nahrungsquellen für marine Bakterien dar», sagt Estelle Clerc, Erstautorin der kürzlich in der Fachzeitschrift externe SeiteNature Communications veröffentlichten Studie und Postdoktorandin in Stockers Forschungsgruppe.

Gut entwickeltes Sensorium

Dass Meeresmikroben aktiv auf komplexe Moleküle zuschwimmen können, um sie abzubauen, sei in den Modellen der globalen Kohlenstoff-Flüsse noch nicht berücksichtigt. Ihre Resultate spielten deshalb wohl auch bei der künftigen Berechnung von Klimaszenarien eine Rolle, meint Clerc. Doch darüber hinaus hat der Nachweis, dass Bakterien ein besser entwickeltes Sensorium haben als bisher vermutet, die Forscherin auf eine nächste Idee gebracht: «Vielleicht erkennen Bakterien auch weitere komplexe und schwer abbaubare Substanzen.»

Um diese Idee zu testen, mussten die Forschenden ihr Instrument lediglich mit solchen Substanzen bestücken – und dann an verschiedenen Orten (wie etwa im Zürichsee oder im Becken einer Abwasserreinigungsanlage) ins Wasser lassen. Ihre ersten, noch vorläufigen und unveröffentlichten Resultate zeigen, dass es in der Umwelt tatsächlich Bakteriengemeinschaften gibt, die sich zum Beispiel von Mikroplastik oder Pestizidrückständen angezogen fühlen.

Lösungen im Bereich der Umweltsanierung

«Unser Instrument funktioniert wie eine Bakterienfalle», sagt Clerc. «Der Vorteil besteht darin, dass wir damit natürliche Bakteriengemeinschaften mit ausgesuchten Stoffwechselfähigkeiten isolieren können», sagt Clerc. Einige dieser Bakteriengemeinschaften sind offenbar in der Lage, die ungemütlichen Chemikalien als Energiequelle zu nutzen: «In unseren ersten Machbarkeitsversuchen haben die Bakterien ihre Biomasse bis zu 20'000-fach vermehrt, obwohl sie nur die Schadstoffe als Nahrung hatten.»

Vor zwei Jahren gründete Clerc das Spin-Off CellX Biosolutions, um mit der Bakterienfalle gezielt nach Mikroorganismen zu suchen, die für die Umweltsanierung eingesetzt werden können. Im Vordergrund stehen neben den Pestiziden und dem Mikroplastik auch Medikamente sowie die berüchtigten polyfluorierten Verbindungen mit dem Kürzel PFAS, die wegen ihrer chemischen Stabilität oft auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden. Ziel ist es, vielversprechende Bakteriengemeinschaften als Produkte auf den Markt zu bringen und sie dann als bakterielle Entsorger in verschiedenen Industriezweigen einzusetzen – als Alternative zu den derzeitigen nicht nachhaltigen und kostspieligen Methoden der Entsorgung giftiger Chemikalien, wie etwa der Verbrennung.

Vor kurzem hat CellX einen wichtigen Meilenstein in der Produktentwicklung erreicht. Mit zwei grossen Industriepartnern plant Clerc derzeit Pilotversuche, die auf die spezifischen «Behandlungsbedürfnisse» dieser Kunden zugeschnitten sind. Im nächsten Schritt will Clerc dann in die industrielle Anwendung einsteigen.

Zudem hat Clerc in Zusammenarbeit mit dem D-BAUG Technikteam ein druckresistentes Gehäuse für den Einsatz des Mikrofluidik-Chips in der Tiefsee entwickelt. Eine Patentanmeldung läuft derzeit.  «Mit diesem Gehäuse können wir auch extreme Umgebungen wie etwa das ewige Dunkel in 4000 Meter Meerestiefe erschliessen», sagt Clerc. «So erhalten wir Zugang zu einem riesigen Bakterienreservoir mit noch weitgehend unerforschten Stoffwechselleistungen.»

Vergrösserte Ansicht: Speeding up our planet's cleanup-poster
Die Mission von CellX Biosolutions auf einen Blick (Bild: CellX Biosolutions, D-BAUG/ETH Zürich)

Literaturhinweis

Clerc EE, Raina JB, Keegstra JM, Landry Z, Pontrelli S, Alcolombri U, Lambert BS, Anelli V, Vincent F, Masdeu-Navarro M, Sichert A, De Schaetzen F, Sauer U, Simó R, Hehemann JH, Vardi A, Seymour JR and Stocker R.
externe SeiteStrong chemotaxis by marine bacteria towards polysaccharides is enhanced by the abundant organosulfur compound DMSP.
Nature Communications (2023), doi: 10.1038/s41467-023-43143-z

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