Fliessgewässer interdisziplinär erforschen

Revitalisierungs- und Naturschutzprojekte haben das grosse Potential, wichtige Funktionen unserer Fliessgewässer für kommende Generationen wiederherzustellen und zu erhalten. Forschende von vier Forschungsinstituten des ETH-Bereichs haben in Zusammenarbeit mit dem BAFU untersucht, wie sich Sedimenttransport und Vernetzung auf die Hochwassersicherheit und die Fliessgewässerökologie auswirken. Die Resultate aus dem Forschungsprojekt haben sie nun für ein breites Publikum aufgearbeitet.

von Redaktion
Schwemmholz
Gestrandetes Schwemmholz in der Moesa. (Foto: Michel Roggo) 

Von ganz nass bis zu ganz trocken naturnahe Flusslandschaften bilden ein vielfältiges Mosaik an Lebensräumen, das von überdurchschnittlich vielen Arten bewohnt wird. Genauso vielfältig sind die Interessen, die bei wasserbaulichen Eingriffen wie Hochwasserschutz- oder Revitalisierungsprojekten in unserer dicht genutzten Landschaft aufeinander treffen. Das interdisziplinäre Forschungsprojekt «Lebensraum Gewässer – Sedimentdynamik und Vernetzung» im Rahmen des Forschungsprogramms «Wasserbau und Ökologie» verbindet deswegen ingenieurtechnische und ökologische Perspektiven bei der Erforschung vielfältiger Flusslandschaften.

Im Rahmen des Projekts wurden dazu 13 Teilprojekte realisiert, davon vier an der Versuchsanstalt für Wasserbau VAW der ETH Zürich, welche im nationalen Leitungsgremium durch Dr. David Vetsch vertreten wird. Im Folgenden werden die VAW-verantworteten Teilprojekte kurz vorgestellt.

Lebensräume identifizieren und bewerten

Flusslandschaften setzen sich aus einer Vielzahl von Landschaftsformen zusammen, die Habitate für verschiedene Arten beherbergen. Ein Habitat ergibt sich aus bestimmten physikalischen und biotischen Faktoren und stellt einen geeigneten Standort für das Überleben und die Fortpflanzung einer Art dar. Eines der 13 Teilprojekte befasste sich mit der Vorhersage geeigneter Lebensräume für die Deutsche Tamariske (Myricaria germanica), eine typische Pflanze auf Kiesbänken der Auen und Indikator für naturnahe Flussabschnitte. Dazu haben Forschende der VAW und der WSL ein grossräumiges ökologisches-statistisches Modell mit einem deterministischen zweidimensionalen hydrodynamischen Modell verknüpft.

Die Identifizierung und Quantifizierung von Lebensräumen ist für das Management von Flusslandschaften von grundlegender Bedeutung. Umfang und Vielfalt der Habitate sind direkt mit der Biodiversität und der ökologischen Widerstandsfähigkeit einer bestimmten Umgebung verknüpft.

Hochwasserschutz für Flussbewohner

In einem weiteren Teilprojekt untersuchten Forschende der VAW und der Eawag, wie sich ein spezifischer Typ von Revitalisierungsprojekten – die dynamische Flussaufweitung – bei einer eingeschränkten Zufuhr von Geschiebe entwickelt. In vielen Gewässern der Schweiz vermindern Barrieren oder Uferverbauungen den Geschiebeeintrag. Was bedeutet das für die Lebewesen im Fliessgewässer, insbesondere während eines Hochwassers? Denn dann sind Flussbewohner auf Refugien wie Hinterwasser oder Seitenarmen angewiesen, um sich vor den reissenden Fluten zu schützen. In den gemeinsamen Studien fanden die Forschenden heraus, dass die Geschiebezufuhr entscheidend mitbestimmt, inwieweit eine Flussaufweitung das Angebot an Refugien verbessern und damit die Artenvielfalt schützen kann.

Vergrösserte Ansicht: Interaktive Grafik
Während eines Hochwasser bieten Hinterwasser oder Seitenarme wichtige Rückzugsräume für die Fliessgewässerlebewesen. Ob dynamische Flussaufweitung das Angebot solcher Refugien verbessern, hängt wesentlich von der Geschiebezufuhr ab. (Ausschnitt aus der interaktiven Grafik auf www.rivermanagement.ch)  

Der Fluss reagiert

Seitliche Entlastungsbauwerke in Fliessgewässern sind eine Massnahme, um bei Hochwasserereignissen einen Teil des Abflusses auszuleiten. Die seitliche Entlastung reduziert den Durchfluss und damit die Geschiebetransportkapazität im Hauptgewässer, was zu Geschiebeablagerungen führen kann. Forschende der VAW haben die Wechselwirkung zwischen dem Abfluss über eine seitliche Entlastung und der Veränderung der Sohlenlage im Hauptgerinne mit numerischen 1D- und 2D-Modellansätzen mit der Software BASEMENT untersucht und Empfehlungen für praktische Modellanwendungen erarbeitet.

Prozesse der Feinsedimentablagerung

Fliessgewässer erstrecken sich über das zugehörige Gerinne hinaus. Die Vorländer und Auen sind aus ökologischer Sicht von besonderem Interesse. Wiederkehrende Überschwemmungen schaffen dort spezielle Bedingungen und fördern unter anderem die Ansiedlung vieler schutzbedürftiger Arten – Prozesse, die bei Flussrevitalisierungsprojekten relevant sind. Forschende der VAW und der Plateforme de Constructions Hydrauliques (PL-LCH) der EPFL haben die hydro- und morphodynamischen Prozesse der Feinsedimentablagerung untersucht und die entsprechenden Erkenntnisse im numerischen Simulationswerkzeug BASEMENT implementiert.

Vergrösserte Ansicht: Schematische Darstellung von einer Überflutung
Typische Situation bei der Überflutung des Vorlands, resp. einer Flussaue: (a) Geschwindigkeitsverteilung, (b) Wirbelbildung in der Scherschicht und (c) seitliche Sedimentablagerung (Abbildung: VAW).

Unterschiedliche Akteure erreichen

Cover: Publikation

Die Resultate des Forschungsprojekts «Lebensraum Gewässer» wurden nun in mehreren Produkten für ein vielfältiges Publikum aufbereitet. externe SeiteEin Band der Reihe «Umwelt-Wissen» des Bundesamtes für Umwelt BAFU fasst die wichtigsten Forschungsergebnisse der 13 Teilprojekte anschaulich zusammen. Ergänzt werden diese mit Beiträgen zur Umsetzung von Fachleuten aus der Praxis. Ein externe SeiteInformationsflyer für eine breite Leserschaft und die Website externe Seitewww.rivermanagement.ch mit einer interaktiven Flusslandschaft erlauben einen einfachen Zugang zu den vielfältigen Themen. Fünf externe SeiteKurzfilme ergänzen das Angebot und veranschaulichen die dynamischen Prozesse in Fliessgewässern.

Wichtig war den Forschenden, alle im Gewässermanagement engagierten Personen zu erreichen. Insbesondere Akteurinnen und Akteure ohne spezifischen fachlichen Hintergrund, zum Beispiel in kleineren Gemeinden, sind nicht zwingend an den neusten Forschungsdetails interessiert. Vielmehr benötigen sie eine Einordnung von Sachverhalten sowie eine Sensibilisierung für die Schlüsselprozesse, die es zu schützen gibt.  

Das interdisziplinäre Forschungsprogramm

Das Forschungsprogramm «Wasserbau und Ökologie» erarbeitet wissenschaftliche Grundlagen zu aktuellen Praxisfragen im Fliessgewässermanagement. Am Forschungsprogramm beteiligen sich Ökologinnen und Wasserbauingenieure der vier Forschungsinstitutionen VAW ETH Zürich, Eawag, PL-LCH EPFL und WSL sowie des Bundesamts für Umwelt. Praktikerinnen und Praktiker von Bund, Kantonen, privaten Büros, NGOs und Verbänden unterstützen und beraten die Forschungsarbeiten. Die vielfältigen Zusammenarbeiten ermöglichen einen gesamtheitlichen Blick auf unsere Fliessgewässer als Biodiversitäts-Hotspot und Rückhalteraum von Hochwassern.
 

Kontakt

Dr. David Florian Vetsch
Dozent am Departement Bau, Umwelt und Geomatik
  • HIA C 56.3
  • +41 44 632 41 04

V. Wasserbau, Hydrologie u. Glaz.
Hönggerbergring 26
8093 Zürich
Schweiz

Dr.  David Florian Vetsch
JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert