«Baut etwas, mit euren eigenen Händen»
Catherine De Wolf ist seit September 2021 als Tenure-Track-Assistenzprofessorin für «Circular Engineering for Architecture» am Departement für Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich tätig. In diesem kurzen Interview spricht sie über ihre Forschung und Lehre und erklärt, warum das Bauen auch in ihrem Privatleben eine wichtige Rolle spielt.
Professor De Wolf, willkommen an der ETH Zürich! Die Einrichtung in Ihrem Büro sieht einzigartig aus. Wie kommt das?
Vielen Dank! Zu meinem Antritt hatte ich die Möglichkeit, neues Mobiliar für mein leeres Büro zu bestellen. Ich habe darauf verzichtet und stattdessen Möbel und Materialien hergebracht, die ansonsten im Müll gelandet wären. In meiner Arbeit stosse ich täglich auf viele gut erhaltene Gegenstände und Materialien. Aus meiner Sicht macht es daher mehr Sinn, Gebrauchtes wiederzuverwerten statt Neues zu kaufen. Bei vielen Besprechungen in meinem Büro sind nun diese meist selbstgefertigten Möbelstücke ein Anlass zum Gespräch über Kreislaufwirtschaft geworden.
Was sind Ihre aktuellen Forschungsinteressen?
Ich habe mich schon immer dafür interessiert, das Bauen umweltfreundlicher zu machen. Aktuell befasse ich mich mit digitalen Innovationen, die in anderen Sektoren bereits eingesetzt werden. Ich untersuche, wie diese Innovationen auf die gebaute Umwelt übertragen werden können. Denn ich bin überzeugt, dass uns die Digitalisierung sehr dabei helfen kann von einer linearen Wirtschaft, die auf einem «Take-Make-Waste»-Modell beruht, zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen, bei der die Lebensdauer von Bauressourcen maximal ausgeschöpft wird, etwa durch Wiederverwertung, Renovation, Aufbereitung und Recycling. Dabei sind es nicht nur technische, sondern auch rechtliche, wirtschaftliche, politische, logistische oder soziologische Hürden, die es zu überwinden gilt. Die Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft ist auch der Schwerpunkt meines neuen Labors am D-BAUG, das Circular Engineering for Architecture (CEA) Lab. Hier suchen wir nach Möglichkeiten mittels maschinellem Lernen, Laserscanning, Augmented Reality, Blockchain-Technologie usw. die Wiederverwendung von Baumaterialien zu erleichtern.
Welche Auswirkungen hat Ihre Forschung auf die Gesellschaft?
Das zirkuläre Bauen bringt enorme Vorteile für unsere Gesellschaft, insbesondere für die Umwelt, aber auch anderweitig, zum Beispiel für den Arbeitsmarkt. Der Bausektor ist für etwa 40 % unserer Treibhausgasemissionen verantwortlich. Außerdem machen Bau- und Abbruchabfälle mehr als ein Drittel aller von uns erzeugten Abfälle aus. Und da die Weltbevölkerung weiterhin wächst, wird in den kommenden Jahrzehnten immer mehr gebaut werden – Schätzungen zufolge wird weltweit jeden Monat ein New York City hinzukommen. Ingenieure, Bauunternehmen und Architekten haben also eine zentrale Rolle in der Klimakrise!
Anstatt neue Rohstoffe für den Bau zu gewinnen und andere Materialien bei der Renovierung oder beim Abriss zu entsorgen, sollten wir mehr auf Wiederverwertung setzen. Die Kreislaufwirtschaft schafft eine Reihe von neuen, sinnstiftenden und lokalen Arbeitsplätzen. Mit meinem Labor möchte ich dazu beitragen, dass die Wiederverwendung aufgewertet werden kann, damit sie nicht nur für Nischenprojekte, sondern für den gesamten Sektor funktioniert. Die Digitalisierung kann dabei helfen, diese neuen Materialverwendungen und Bauarbeitsplätze wettbewerbsfähig zu machen.
Wo haben Sie gearbeitet, bevor Sie an die ETH Zürich kamen?
Nach meinem Doktorat am MIT und meinem Postdoc an der EPFL war ich an der TU Delft in den Niederlanden tätig, wo ich die Möglichkeit hatte, mit globalen Experten zum Thema Kreislaufwirtschaft zusammenzuarbeiten. Die niederländische Regierung hat sich das (sehr ehrgeizige) Ziel gesetzt, als Land bis 2050 «vollständig kreislauffähig» zu sein. Das hat viele Forschungsinitiativen zum Thema Kreislaufwirtschaft ausgelöst, aus denen ich viel gelernt habe.
Welche Kurse werden Sie an der ETH unterrichten?
Ich werde neue Kurse zum Thema Digitalisierung für zirkuläres Bauen unterrichten und freue mich auf die Diskussionen mit den Studierenden. Ich unterrichte sehr praxisorientiert und plane, mit den Studierenden auf Abbruchbaustellen zu gehen und Materialien zurückzugewinnen. Weiterhin möchte ich ihnen die Möglichkeit geben, mit führenden Praktikern aus der Industrie zu interagieren. Sie werden auch ein eigenes auf Kreislaufprinzipien beruhendes Gebäude für den ETH-Campus entwerfen. Ich mag es, interaktiv und interdisziplinär zu arbeiten, um den Studierenden aus verschiedenen Fachbereichen zu zeigen, wieviel sie voneinander lernen können. Diese Art der Lehre gibt mir auch viel Kraft und Ideen für meine eigene Forschung.
Wie sind Ihre Eindrücke von der Schweiz und der ETH Zürich nach einem halben Jahr?
Die Schweiz hat atemberaubende Natur – sie erinnert mich daran, warum ich das tue, was ich tue. Ich denke auch, dass die Schweiz ein Land ist, in dem Unternehmertum sehr gefördert wird. Besonders an der ETH Zürich spüre ich diese «alles ist möglich» -Stimmung recht intensiv. Ich bin sehr herzlich aufgenommen worden und treffe jeden Tag viele brillante Forschende und Studierende, die die Welt zum Besseren verändern wollen. Je mehr ich meine Kolleginnen und Kollegen und die Studentinnen und Studenten kennenlerne, desto mehr fühle ich mich geehrt, Teil dieser Institution zu sein.
Was machen Sie, wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben?
Ich verbringe Zeit mit meinem Partner und gehe mit unserem Hund in den Bergen spazieren! Ich fahre auch gerne mit dem Zug oder mit dem Velo, um neue Orte zu entdecken und meine Freunde und Familie zu besuchen. Gemeinsam gehen wir dann klettern, machen Yoga und spielen Klavier. Da mir mein Forschungsthema sehr am Herzen liegt, wende ich die Prinzipien des kreislauforientierten Bauens auch in meinem alltäglichen Leben an: Ich habe Abfallmaterialien zum Bauen von Möbeln und Inneneinrichtungen genutzt, verlassene Gebäude zur Wiederverwertung auseinandergenommen und mit recycelten Materialien Gewächshäuser, Hütten und temporäre Bauten geschaffen.
Welchen Rat würden Sie Studierenden geben, die gerade erst in die Bauingenieurwissenschaften einsteigen?
Genau das: Baut etwas, mit euren eigenen Händen, mit wiedergewonnenen Materialien aus eurer Nachbarschaft. An der Universität und auch im täglichen Leben erwerben wir so viele nützliche Fähigkeiten, vor allem digitale Fähigkeiten (die man unbedingt lernen sollte!), aber man muss selber etwas gebaut haben, um erkennen zu können, welche Art von Problemen in der «realen Welt» gelöst werden müssen und welche Fragen es braucht. Sicher, gewisse Lehrveranstaltungen bieten die Möglichkeit, Praxiserfahrungen auf der Baustelle zu sammeln, aber darauf sollte man nicht warten: Nutzt eure Kreativität und baut etwas, was eure Gemeinschaft braucht, am besten mit gebrauchten Materialien. Und verpasst keine Gelegenheit, eure (digitalen) Fähigkeiten so einzubringen, dass es für den Bausektor und für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung sein könnte!
Zur Gruppe Circular Engineering for Architecture von Prof. Catherine De Wolf