KI für Bevölkerungszahlen hilft bei humanitären Aktionen

Forschende von der ETH Zürich und EPFL haben in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Hamad Bin Khalifa Universität (Katar) eine neue Software entwickelt, die mit wenig Daten präzise Schätzungen der Bevölkerungsdichte erstellen kann. Damit sollen humanitäre Einsätze wirksamer gestaltet werden können. Das Projekt leiten die Professoren Konrad Schindler und Devis Tuia.

von Redaktion

In den meisten Ländern, in denen das IKRK tätig ist – sei es als Reaktion auf eine Krise oder einen Konflikt oder zur Unterstützung des Wiederaufbaus – sind keine aktuellen Volkszählungsdaten verfügbar. Und dort, wo Volkszählungen durchgeführt werden, sind sie aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums und der demografischen Veränderungen oft schnell veraltet. Doch wenn humanitäre Helferinnen und Helfer die Wasserversorgung wiederherstellen, Nahrungsmittel verteilen oder die Durchführbarkeit eines Präventionsprogramms beurteilen müssen, können sie viel wirksamer arbeiten, wenn sie wissen, wie viele Menschen sich in einem bestimmten Gebiet aufhalten.

Aus diesem Grund haben die Ingenieure der ETH Zürich der EPFL und der gemeinsam mit dem IKRK ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Programm namens «Pomelo» entwickelt. Die Software nutzt grosse Mengen öffentlicher Daten aus Fernerkundungssystemen – etwa Daten über die Anzahl von Gebäuden, die Distanz zu nächsten Strassen und nächtlicher Beleuchtung – und aggregiert diese mit Hilfe eines neuronalen Netzwerks zu genauen Bevölkerungskarten. Pomelo wurde bereits in mehreren afrikanischen Ländern erfolgreich getestet und liefert aussergewöhnlich genaue Einwohnerzahlen für Flächen von nur einem Hektar. Die Forschungsergebnisse wurden nun im Fachblatt «Scientific Reports» veröffentlicht.

Präzision bis auf den letzten Hektar

«Zwar gibt es bereits mehrere Methoden zur Bevölkerungskartierung», erklärt Erstautor Nando Metzger vom Departemente Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) an der ETH Zürich, «doch keine von ihnen kann Schätzungen mit der für humanitäre Einsätze, Stadtplanung und Umweltüberwachung erforderlichen Genauigkeit liefern.» Bestehende Methoden beruhen in der Regel entweder auf der Extrapolation auf Basis detaillierter, aber lokaler Erhebungen; oder auf der Verwendung öffentlich zugänglicher Geodaten (wie Drohnen- und Satellitenbilder), die grosse Gebiete abdecken, aber mit Hilfe weiterer Kriterien auf die notwenige hohe Auflösung heruntergebrochen werden müssen.

Das IKRK verwendet derzeit eine Software, die sich auf die Grundrisse von Gebäuden stützt. «Unsere Software berücksichtigt jedoch keine anderen Faktoren wie die Art der Nutzung von Gebäuden», sagt Thao Ton-That Whelan, Projektleiter beim IKRK. «Das ist wichtig, weil die Art der Hilfe, die in einem bestimmten Gebiet benötigt wird, davon abhängt, ob es sich beispielsweise um ein Industrie-, Verwaltungs- oder Wohngebiet handelt.» Prof. Devis Tuia, Leiter des Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory der EPFL, fügt hinzu: «Es gibt einige andere Programme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, aber sie benötigen alle detaillierte Volkszählungsdaten, um den Lernprozess zu starten. Wir brauchen nur eine Schätzung der Bevölkerung auf grober regionaler Ebene.»

Pomelo wurde im Rahmen der Initiative «Engineering Humanitarian Action» entwickelt –einer Partnerschaft zwischen der ETH Zürich, der EPFL und dem IKRK mit dem Ziel, neue Technologien und technisches Know-how zu nutzen, um das Leben von Menschen in Not zu verbessern. Das Ziel war, ein KI-Programm zu entwickeln, das genaue Bevölkerungskarten für mit einer Auflösung von einem Hektar, bzw. 100 Meter Länge und 100 Meter Breite, erstellen kann. Das entwickelte System ist dank einer Fülle von öffentlichen Datensätzen in der Lage, eine solche Genauigkeit zu liefern.

Erprobt in Tansania, Sambia und Mosambik

So kann Pomelo beispielsweise die Anzahl Personen pro Gebäude abhängig von deren Lage und Nutzung schätzen. «In städtischen Gebieten sind die Gebäude tendenziell dichter als in Vorstädten, und Gegenden, in denen mehr Menschen leben sind in der Regel nachts stärker beleuchtet», erklärt Tuia. «All diese Informationen tragen zu einer genaueren Schätzung der Bevölkerungsdichte bei. Zunächst dachten wir auch daran, Daten aus sozialen Medien zu verwenden, aber dann wurde uns klar, dass diese Apps in Krisengebieten, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht weit genug verbreitet sind.»

«Wir haben Pomelo mit Daten aus mehreren afrikanischen Ländern, darunter Tansania, Sambia und Mosambik getestet», erklärt Prof. Konrad Schindler, Leiter des Instituts für Geodäsie und Photogrammetrie am D-BAUG. «Daraus erstellten wir eine Reihe digitaler Karten mit Schätzungen der Bevölkerungsdichte pro Hektar und verglichen die Ergebnisse mit anderen Schätzungen.» Pomelo erwies sich als präziser als andere Programme – nicht nur pro Hektar, sondern auch über grössere Einheiten, und bei niedrigen Bevölkerungsdichten (1.000-2.000 Einwohner), so Schindler.

«Die Zusammenarbeit mit diesen beiden Universitäten hat es uns ermöglicht, fortschrittliche Technologien einzusetzen, für deren Entwicklung wir am IKRK nicht unbedingt die Zeit oder die Kapazitäten gehabt hätten», sagt Ton-That Whelan, der glaubt, dass Pomelo für Planungszwecke sehr nützlich sein wird. «Es hat natürlich seine Grenzen, etwa in Situationen, in denen sich Gruppen schnell bewegen. Und das Programm kann uns nicht sagen, ob Gebäude leer stehen – aber wir haben Teams vor Ort, die uns diese Art von Informationen liefern können.» Die Forscher planen, bis April 2023 eine benutzerfreundliche Version der Software für Nicht-Experten herauszubringen.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Übersetzung und redaktionell geringfügig bearbeitete Version einer externen Medienmitteilung der externe SeiteEPFL.

Originalpublikation

Nando Metzger, John E. Vargas-Muñoz, Rodrigo C. Daudt, Benjamin Kellenberger, Thao Ton-That Whelan, Ferda Ofli, Muhammad Imran, Konrad Schindler & Devis Tuia
externe SeiteFine-grained population mapping from coarse census counts and open geodata
Scientific Reports (2022), doi: 10.1038/s41598-022-24495-w

Weitere Links

Zur Gruppe Photogrammetrie und Fernerkundung von Konrad Schindler (ETH Zürich)

Zum externe SeiteEnvironmental Computational Science and Earth Observation Laboratory von Devis Tua (EPFL)

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert