Der bedachte Draufgänger

Benedikt Soja ist im Sommer Weltmeister geworden. Wenn sich der junge ETH-Professor gerade nicht steile Bergpfade hinunterstürzt, beschäftigt er sich mit der Vermessung der Welt.

von ETH Hochschulkommunikation

Les Vouillants in der Nähe von Grenoble. Der Startschuss erklingt und 43 Männer treten wie verrückt in die Pedale. Vor ihnen liegen 17 Kilometer und 870 Höhenmeter, die es in sich haben: Steile, unwegsame Anstiege, rutschige Haarnadelkurven und enge Waldwege voller Wurzeln und Steine – ein Parcours, der den Teilnehmern alles abverlangt, denn sie müssen ihn auf ihren Einrädern bewältigen.

Der Fahrer mit dem roten Trikot und der Startnummer 207 ist von Anfang an ganz vorne dabei. Elegant und scheinbar mühelos manövriert er sein etwa ein Meter hohes Einrad über Stock und Stein. Je länger das Rennen dauert, desto grösser wird sein Abstand zur Konkurrenz. Nach einer Stunde und 14 Minuten fährt er schliesslich jubelnd durchs Ziel. Der neue Weltmeister im Einrad Cross-Country heisst Benedikt Soja.

Die Vermessung der Welt

So draufgängerisch der gebürtige Wiener wirkt, wenn er sich auf seinem Einrad steile Bergpfade hinunterstürzt, so ruhig und bedächtig ist er im Gespräch in seinem Büro am Campus Hönggerberg. Seit März 2020 ist Benedikt Assistenzprofessor für Weltraumgeodäsie am Departement Bau, Umwelt und Geomatik an der ETH Zürich und beschäftigt sich mit nichts Geringerem als der Vermessung der Welt.

Er und sein 15-köpfiges Team kombinieren grosse Datenmengen, die von Satelliten aufgezeichnet werden, mit künstlicher Intelligenz, um die Form, den Aufbau und die Position der Erde im Weltraum zu bestimmen. Ohne diese Messungen würden zum Beispiel unsere Navigationssysteme nur halb so gut funktionieren. Und auch für zahlreiche Klima- und Wettermodelle bilden Benedikts Analysen eine wichtige Grundlage.

Der Reiz neuer Herausforderungen

Nach Studium und Doktorat in Wien und einer Postdocstelle in Potsdam wechselt Benedikt 2016 zur Nasa. Als Naturliebhaber fühlt er sich wohl in Kalifornien und macht die dortigen Berge und Wälder auf seinem Einrad unsicher. Schon bald wird er befördert und erhält gar eine permanente Stelle – ein Traum vieler Forschenden.

Doch dem damals 30-Jährigen ist das nicht genug. Benedikt ist einer, der stets nach neuen Herausforderungen sucht. Er will sein eigenes Forschungsprogramm entwickeln und bewirbt sich auf eine Tenure-Track-Stelle an der ETH Zürich, die er prompt erhält.

Vom Forscher zum Manager

Für den Österreicher ist der Wechsel an die ETH auch ein Identitätswandel. Als Forscher bei der Nasa war er für seinen Output grösstenteils allein verantwortlich. Als Professor hängt sein Erfolg plötzlich von seinen Mitarbeitenden ab: «Tenure zu bekommen, ist eine Teamleistung. Da ich selbst weniger zum Forschen komme, ist es essenziell, gute Leute zu finden, ihnen zu vertrauen und sie zu fördern.»

Soja ist 31, als er den Ruf an die ETH erhält. Seine Mitarbeitenden, viele kaum jünger als er selbst, schätzen den freundschaftlichen und offenen Austausch mit ihrem Chef sehr: «Er behandelt uns auf Augenhöhe, hört gut zu, und es ist ihm wichtig, dass wir selbst auf die Lösung kommen», sagt etwa seine Doktorandin Laura Crocetti.

Gewinnen oder lernen

Doch was sie am meisten an ihrem Chef beeindruckt, ist seine Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit. Benedikt Soja hat die Fähigkeit, sich voll und ganz für eine Sache zu begeistern und nicht locker zu lassen. Und wenn mal etwas nicht klappt, versucht er daraus zu lernen. «You either win, or you learn», fasst der ETH-Professor seine Lebenseinstellung zusammen. Rückschläge, wie etwa Forschungsanträge, die nicht akzeptiert werden, sind für ihn immer auch Möglichkeiten, zu wachsen.

Insofern ist es kein Zufall, dass der 33-Jährige im Sommer Einradweltmeister geworden ist. Seit elf Jahren betreibt er den Sport, den er ursprünglich nur begonnen hat, weil er wegen einer Handverletzung nicht mehr auf zwei Rädern unterwegs sein konnte. Kaum ein Körperteil blieb während seiner Sportkarriere unversehrt. Er brach sich die Schulter, Zehen, Finger, Ellbogen und sogar die Hüfte. Doch immer wieder kommt er zurück und wird besser. Denn was Benedikt anpackt, macht er richtig.

Benedikt Soja

Das Porträt ist in der aktuellen Ausgabe des ETH «life» Magazin erschienen.

Zur Forschungsgruppe von Prof. Benedikt Soja

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