Den Wiederaufbau der Ukraine im Blick
Der ukrainische Baustoff-Professor Viacheslav Troian verliess mit der Familie wegen des Kriegs seine Heimat. Am D-BAUG an der ETH Zürich erforscht er zusammen mit den Professoren Robert Flatt und Ueli Angst, welchen Beitrag Recycling-Beton beim künftigen Wiederaufbau leisten kann.
Es waren tragische erste Kriegstage, die Viacheslav Troian in seinem Vorort von Kiew erlebt hat und die den Professor an der Kiewer Nationalen Universität für Bauwesen und Architektur dazu bewogen haben, zusammen mit seiner Familie nach Westeuropa zu fliehen. Als Vater von vier Kindern war es ihm erlaubt, das Land zu verlassen. Dass er letztlich in der Schweiz und an die ETH gekommen ist, dabei hat auch ein gutes Stück Zufall mitgeholfen. «Wir standen in Budapest am Bahnhof, und ich habe mich mit meiner Frau beraten, wohin die Reise gehen soll», erzählt Troian. Ukrainische Flüchtlinge mussten damals für die Zugreise keine Fahrtkosten bezahlen. Lediglich die Platzreservation von drei Euro war fällig – egal wohin man fuhr. Endstation des einen Zuges, für den Troian Plätze reservieren konnte, war Zürich. Und so kam es, dass er und seine Familie in die Schweiz fuhren. «Wir haben damals gehofft, dass der Krieg bald zu Ende sein wird und wir zurückkehren würden.» Es kam anders.
Als Chemieingenieur, der sich auf Beton spezialisiert hat, hat Troian zwanzig Jahre Erfahrung in der Entwicklung von verschiedenen Betontypen, wie er sagt. Unter anderem war er beteiligt an der Entwicklung der Betonmischung für die Bahnschwellen der ukrainischen Eisenbahnen sowie für das Fundament der Schutzhülle des havarierten Atomreaktors in Tschernobyl. Derzeit arbeitet Troian als Gastforscher an der ETH Zürich mit den Professoren Ueli Angst und Robert Flatt zusammen. Die beiden sind ebenfalls Betonspezialisten.
Soeben veröffentlichte Troian mit Ko-Autoren der ETH Zürich und der Universität Gustave Eiffel in Paris eine wissenschaftliche Arbeit zum Recycling von Beton. Schon seit Längerem zerkleinern Baumaterialingenieure Beton-Abbruchmaterial und verwenden es für die Herstellung von frischem Beton. Damit kann gemäss den aktuellen Normen bis zu 50 Prozent des dafür benötigten Kieses oder Schotters ersetzt werden. Troian sieht sehr grosses Potenzial für rezyklierten Beton, um zerstörte Gebäude und Infrastruktur in der Ukraine wieder aufzubauen. In der neuen Fachpublikation schildert er konzeptionell, welchen Beitrag Recycling-Beton dabei leisten kann.
Kreislaufwirtschaft
Beton ist bekannt als Baumaterial mit einem nennenswerten CO2-Fussadruck, der auf die Zementherstellung zurückzuführen ist. Recycling-Beton braucht gleich viel Zement wie konventioneller Beton. Somit geht es beim Recycling-Beton nicht um die Reduktion des CO2-Fussabdrucks, sondern vielmehr Optimierung der Stoffflüsse. «Reisst man Gebäude ab, landet das Abbruchmaterial in Bauschutt-Deponien, und baut man neue Gebäude mit konventionellem Beton, muss dazu viel neuer Schotter abgebaut werden. Wenn zumindest ein Teil des Abbruchmaterials wiederverwendet werden kann, kann man Kapazitäten bei den Deponien und beim Schotterabbau einsparen», erklärt Troian.
Dazu kommt, dass der Wiederaufbau der Infrastruktur eines kriegsversehrten Landes in verhältnismässig kurzer Zeit eine riesige Herausforderung für die Schotter-Lieferkette ist. «Wenn man Abbruchmaterial vor Ort wiederaufbereiten und verwenden kann, lässt sich der Logistikaufwand verringern», so Troian.
In der neuen Studie zeigte Troian ausserdem auf, wie bekannte Nachteile von Recycling-Beton mit verhältnismässig geringem Zusatzaufwand verringert werden können. Bauingenieure wissen, dass Beton mit einem zu hohen Recycling-Anteil weniger stark belastbar und weniger widerstandsfähig gegenüber Wasser, Salzen und der Atmosphäre ist. Somit ist er kurzlebiger. Ausserdem hat Recycling-Beton eine stärkere Tendenz zu Rissbildung im Vergleich zu konventionellem Beton, was seine Verwendung anspruchsvoller macht. Hauptursache für diese Nachteile ist, dass die Oberfläche des gebrochenen Recyclingmaterials aus altem Zementmörtel besteht. Dieser saugt unter Umständen Wasser auf.
Um dieses Problem zu reduzieren, sind in den vergangenen Jahren mehrere Methoden entwickelt worden, um das Abbruchmaterial vorzubehandeln: es wird mit Wasser vorbenetzt oder mit Hitze, Säure oder Mikrowellen behandelt. Troian betont in der Studie, dass das einfache Vorbenetzen mit Wasser schon grosse Vorteile bringt. Für den Wiederaufbau in der Ukraine ist das eine effiziente und praktikable Lösung, mit welcher der immense Ressourcenbedarf der anderen Ansätze entschärft werden kann.
Derzeit kommt in der Ukraine praktisch kein Recycling-Beton zum Einsatz. Die Schweiz hingegen gilt mit 18 Prozent verbautem Recycling-Beton als europaweit führend.
«Wir können nicht in wenigen Jahren wiederaufbauen, was während Jahrzehnten erstellt worden ist.»Viacheslav Troian
Troians Anstellung an der ETH Zürich war möglich dank des Engagements des Instituts für Baustoffe und des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) sowie der Schulleitung der ETH Zürich. Im Rahmen der ETH-Solidaritätsaktion mit Forschenden aus der Ukraine einigte man sich kurzfristig darauf, Gastforschende aus der Ukraine wie Troian aufzunehmen und die Finanzierung zwischen dem jeweiligen Institut, dem Departement und der Gesamthochschule aufzuteilen. Ausserdem unterstützen Firmen aus dem Baubereich seinen Aufenthalt via das Programm für nachhaltiges Bauen und digitale Fabrikation der ETH Foundation.
Viacheslav Troian treibt an der ETH nicht nur die Recycling-Beton-Forschung voran, sondern auch bestehende externe Seite Lehrvideos für Studierende ins Ukrainische übersetzt. «Ich hoffe, dass diese Videos für Studierende in der Ukraine hilfreich sind sowie für die Industrie», sagt er. Somit möchte er helfen, das Wissen von Fachkräften in der Ukraine zu erhöhen.
Dies ist auch im Sinne der ETH-Professoren Angst und Flatt, bei denen er zu Gast ist und die Mitautoren der Beton-Recycling-Studie sind. «Als der Krieg in Ukraine begann, haben wir uns gefragt, welchen Beitrag wir leisten können, um den Menschen in der Ukraine zu helfen», sagt Flatt. «Für sie relevantes Wissen einfach zugänglich zu machen, ist eine unserer bescheidenen Möglichkeiten.»
Reparieren, was sich reparieren lässt
Alle alten und beschädigten Gebäude abzureissen und schnell neu aufzubauen, wird laut Troian nicht möglich sein: «Wir können nicht in wenigen Jahren wiederaufbauen, was während Jahrzehnten erstellt worden ist.» Was sich reparieren lässt, sollte stattdessen repariert werden. In den nächsten Monaten wird er sich daher der Frage widmen, wie man die verbleibende Lebensdauer von alten Betongebäuden voraussagen kann. An der ETH Zürich entwickelte Modelle könnten dabei zum Einsatz kommen. Dies hilft Stadtplanern, beim Wiederaufbau die Prioritäten zu bestimmen.
Troian hofft, dass seine Kinder in der Schweiz viel Positives erleben und dies die Erinnerungen an die ersten Kriegstage in der Ukraine überstrahlt. Er ist sich aber bewusst, dass derzeit viele Menschen in der Ukraine ausharren und kämpfen oder extreme Not erleiden, und dass auch viele Kinder in der Ukraine geblieben sind. Mit seiner Expertise und seiner Forschung möchte er seinen Beitrag leisten an einen hoffentlich baldigen und zügigen Wiederaufbau seines Heimatlandes.
Originalpublikation
Troian V, Gots V, Keita E, Roussel N, Angst U, Flatt RJ
externe Seite Challenges in material recycling for postwar reconstruction
RILEM Technical Letters (2022), doi: 10.21809/rilemtechlett.2022.171